In Ihrem Buch »Demokratie neu denken« beschäftigen Sie sich mit den großen Themen, die unsre Gesellschaft in der Zukunft auf Trab halten werden: demographischer Wandel, Klimakrise, KI – generell Szenarien einer zunehmend turbulenteren und vernetzten Welt, die viele Menschen überfordern. Was entgegnen Sie Menschen, die angesichts dieser multiplen Bewegungen resignieren?
Andrea Römmele: Im Französischen gibt es zwei Worte für Zukunft. »Avenir« und »future«. »Avenir« ist die Zukunft, die auf uns zukommt. Die Megatrends. Sie sind unvermeidbar. »Future« ist die Zukunft, die wir gestalten. Und darum geht es auch in meinem Buch: Wir haben unglaubliche Gestaltungsspielräume. Wir haben unsere Zukunft selbst im Griff, müssen nur die richtigen Weichen stellen. Mit Mut und Zuversicht.
Für jedes der großen Themen entwickeln Sie Szenarien über mögliche Entwicklungen und auch praktische Lösungsansätze. Wie können wir uns im Kleinen am besten organisieren, damit wir die Zukunft aktiv mitgestalten können?
Andrea Römmele: Die Demokratie lebt im Kleinen. Jeder einzelne Schritt ist wichtig. Jeder von uns muss sich fragen: Was kann ich dazu beitragen? Hier zitiere ich gern den amerikanischen Präsidenten Kennedy, der in seiner Amtsantrittsrede 1961 sagte: »Don’t ask what the country can do for you but what you can do for the country.«
Und bei uns passiert schon viel. Unsere Zivilgesellschaft ist unglaublich aktiv – aber es braucht eben auch eine aktive und visionäre, eine beherzte Politik.
Wo sehen Sie die Hausaufgaben innerhalb der parteipolitischen Demokratie – Welche Prozesse müssen in Gang kommen, um nicht im Klein-Klein zu verharren?
Andrea Römmele: Politikerinnen und Politiker müssen sich ein Stück weit lösen vom Vier-Jahres-Wahlzyklus und in großen Bögen, in großen Visionen denken. Wie soll Deutschland 2040, 2045 aussehen? Auf diese Fragen braucht es Antworten.
Außerdem muss Politik auch wieder attraktiv werden und Spaß machen. Dazu braucht es neue Zugänge zu Parteien, wir müssen aber auch die Arbeit unserer Parlamentarier schätzen. Sie machen einen Wahnsinnsjob und verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Die Szenarien, die Sie für die Megatrends entwerfen, basieren sowohl auf einer faktischen Aufnahme des Status quo als auch Fiktionalisierungen. Brauchen wir alle mehr Mut zur Fantasie, wenn wir über Zukunft sprechen?
Andrea Römmele: Wir brauchen hier keine Fantasie. Wir müssen einfach auch lernen, Dinge einmal zu Ende zu denken und uns zu fragen: Was wäre wenn ….? Und nicht denken: Das wird schon irgendwie. Spätestens der Brexit und die Wahl Donald Trumps haben uns gelehrt, dass Dinge auch echt anders laufen können. Auch bei der Ukraine haben wir 2014 die Augen verschlossen und wollten das aggressive Regime Putins nicht wahrhaben. »Wird schon nichts passieren«, haben viele von uns gedacht. Die Geschichte hat uns leider eines Besseren belehrt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Andrea Römmele ist Professorin für Politische Kommunikation und Vizepräsidentin an der Hertie School in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Demokratie, Wahlen und politische Parteien. Sie studierte an der Universität Heidelberg und der University of California in Berkeley und habilitierte sich an der FU Berlin. Wichtige Stationen ihrer Karriere waren u.a. das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), die Johns Hopkins University in Washington DC und das Wissenschaftszentrum Berlin. In ihrer ARD-Reportage »Demokratie verstehen« erklärt sie Politik und Demokratie einer breiten Öffentlichkeit.
Link zur Website von Andrea Römmele: www.andrearoemmele.de