Wenn ein T-Shirt 3 Euro kostet, können die Produktionsbedingungen nicht unbedingt fair sein. So viel ist den meisten vermutlich klar. Sie erklären uns Konsumenten in Ihrem Buch allerdings zu »Sklavenhaltern«. Was meinen Sie damit?
Evi Hartmann: Nicht nur wir Konsumenten halten Sklaven! Auch wir Produzenten, Spediteure und Händler. Sicher nicht im strafrechtlichen Sinne. Da sind wir höchstens Mittäter oder Komplizen. Aber eben im moralischen Sinne: Wenn das Kind, das mir in Asien mein T-Shirt näht, nachts in einen Bretterverschlag mit Vorhängeschloss kommt, dann würde es dort nicht als moderner Lohnsklave gehalten werden, wenn ich nicht das T-Shirt kaufen würde. Aber ich weiß, dass viele Leute denken: »Ich halte doch keine Sklaven!« Nicht direkt, nicht im eigenen Keller – aber eben mittelbar. Und das ist keine moralische Glanztat.
Eine Ihrer Thesen lautet: Produktion kann ausgelagert werden, Moral nicht. Was haben wir vergessen, wenn wir täglich per Mausklick konsumieren?
E.H.: Unsere Seele. Klingt ungewohnt, ich weiß. Aber eben nur deshalb, weil wir sie so gerne beim Shoppen – nicht nur online – »vergessen«. Shopping dient eben nicht nur dem Gütererwerb, sondern auch der Frustbewältigung und dem Verdrängen des eigentlich Wichtigen. Genau das funktioniert jedoch nur, weil wir unseren Alltagsfrust per Einkauf an die Plantagensklaven in der 3. Welt offshoren. Mir ist schon klar, dass es schwer ist, beim Mausklick auch an das eigene Seelenleben und das Wohl anderer zu denken. Aber es ist »nur« schwer – es ist nicht schwierig.
Woher kommt der Mangel an Empathie?
E.H.: Reine Erziehungssache. Wer sich nicht in andere hineinfühlen kann, tut sich schwer mit einer intuitiven Moral. Er kann und muss dann »ersatzweise« nach ethischen Prinzipien handeln, wenn er kein »Gefühl« für seine Mitmenschen und damit für Moral hat. Aber auch Mitgefühl ist Trainingssache. Man kann sogar klinische Psychopathen dazu bringen, Empathie zu entwickeln. Indem man sie schlicht und wiederholt fragt: »Wie fühlt sich wohl ein Mensch, dem man dies oder das sagt, antut, vorenthält?« Ehrlich gesagt höre ich diesen Satz auf Kinderspielplätzen, in Klassen- und Wohnzimmern eher selten. Kein Wunder, dass viele Kinder bis ins hohe Alter kleine oder größere Egoisten sind und bleiben.
Ist fairer Konsum eine Frage des persönlichen Budgets?
E.H.: Nein, eine Frage der Persönlichkeit. Genauer: der persönlichen Fähigkeit, moralische Prioritäten zu setzen. Es gibt Menschen, die verzichten auf jährlich ein neues Handy, nur um die Ausbeutung der Minensklaven in den Blutmineralien-Bergwerken in Afrika nicht auch noch anzuheizen. Verzicht ist die einfachste Art, moralisch zu konsumieren. Verzicht kann sich sozusagen jede und jeder leisten.
Sie sind Professorin für BWL mit Schwerpunkt Supply Chain Management, einer Disziplin, ohne die Globalisierung undenkbar wäre. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit die Globalisierung ihr menschliches Gesicht zurückerhält?
E.H.: Sie sprechen meinen Beruf an – das heißt, Sie wollen wissen, was sich an unseren Schulen und Hochschulen ändern muss, damit unsere Absolventinnen und Absolventen nicht nur wirtschaften können, sondern moralisch wirtschaften können und wollen? Im Grunde nur wenig: Was nicht im Hörsaal oder dem Klassenzimmer gelesen und gehört wird, kann man auch von keinem Absolventen verlangen. Ich muss als Lehrerin auch nicht warten, bis Moral in unserem Curriculum auftaucht. Niemand verbietet mir, zum Beispiel in Vorlesungen auch die moralischen Aspekte des Vorlesungsstoffes anzusprechen. Dasselbe gilt für jeden Vorstand, jeden Vorgesetzten und erst recht jeden Angestellten oder Arbeiter: Wir dürfen alle was sagen. Es ist ein freies Land. Sagen wir was. Vielleicht ändert das nichts. Aber wenn wir weiter schweigen, ändert sich ganz sicher nichts.
Sie zeigen in Ihrem Buch einige alltagspraktische Beispiele, wie man sich als Konsument fair verhalten kann. Womit können wir sofort beginnen?
E.H.: Mit dem, was wir ständig tun: Online gehen und shoppen. Es gibt so viele Initiativen der guten Sache, die man ganz bequem online unterstützen kann, indem man ihnen schreibt, Patenschaften übernimmt oder im Mindestfall einfach nur das »Like!« anklickt. Und wie wäre es, wenn ich nicht bei jedem, aber bei jedem fünften, dritten, zweiten Einkauf fragen würde: Gibt es zu meinem Kaufwunsch eine moralische Produktalternative? Ich kann dazu googlen oder auch jemanden fragen, der sich damit auskennt. Es sind die kleinen Schritte, die uns zur Moral zurückbringen.
Aber wie kann die Welt sich ändern, wenn im Grenzfall nur ich mich ändere?
E.H.: Gute Frage. Das ist das sozusagen das Dilemma der Economies of Scale der Wirtschaftsmoral. Wer sich heute als Manager oder Konsument moralisch verhält, wird immer noch eher schief angeschaut oder belächelt. Wissen Sie was? Das ist völlig unwichtig. Wenn ich dank meines moralischen Handelns weiß, ich bin ein guter Mensch, dann ist mir das Trost und Anerkennung genug. Und dann ändert sich auch die Welt. Nämlich meine Welt. Wie Mutter Teresa sagte: »Du willst die Welt ändern? Fang bei dir selber an!«
Über die Autorin:
Evi Hartmann ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Mutter von vier Kindern forscht und lehrt an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und ist Mitglied im Netzwerk Generation CEO für Frauen in Führungspositionen. Sie schreibt den Blog "Welt bewegend". (http://blogs.fau.de/weltbewegend)
Sie möchten diesen Artikel weiterverwenden? Darüber freuen wir uns. Mehr über eine Wiederverwertung erfahren Sie in unseren Nutzungsbedingungen.