Shenzhen, chinesische Megacity und Protagonistin Ihres neuen Buches, repräsentiert die Welt von morgen. Was macht diese Welt aus?
Wolfgang Hirn: Die Stadt ist Vorreiter bei vielen technologischen Entwicklungen. Positiv ist die Verkehrspolitik, die rigoros auf Elektromobilität setzt. Alle Busse und Taxen sind inzwischen unter Strom. Auch bei der Digitalisierung steht Shenzhen an der Spitze der Entwicklung. Das Konzept der Smart City, wo fast alles vernetzt ist, wird hier konsequent umgesetzt. Politiker hierzulande können deshalb lernen, wie man eine zukunftsfähige Verkehrspolitik betreibt und eine Digitalisierungsstrategie entwickeln kann.
Deng Xiaoping erklärte Shenzhen schon 1979 zur Sonderwirtschaftszone mit besonderen Rechten in puncto Innovation und Entrepreneurship. Was hat Shenzhen anderen chinesischen Megastädten voraus?
WH: Shenzhen ist anders als alle chinesischen Großstädte eine junge Metropole. Und das in doppelter Hinsicht: Sie ist erst nach dem Tode Maos entstanden. Sie ist ein Kind des neuen Chinas und der chinesischen Reformpolitik. Zum zweiten sind die Einwohner Shenzhens jung. Das Durchschnittsalter beträgt gerade mal rund 30 Jahre. Hierher kommen viele junge Leute aus China, aber auch zunehmend von außerhalb, um dort ihre Träume und Wünsche zu erfüllen. Das erzeugt ein besonders kreatives Klima in der Stadt.
In China vollzieht sich die Entwicklung vom »Made in China« zum »Created in China«. Welche Konsequenzen hat das für das Silicon Valley und Europa?
WH: Unternehmen aus Shenzhen werden zunehmend Konkurrenten von amerikanischen und europäischen Firmen. In einigen Branchen sind sie sogar innovativer, so dass Shenzhen-Firmen wie zum Beispiel BGI (Biotech), BYD (Elektromobilität), Huawei (Telekommunikation) oder Tencent (Internet) in ihren Industrien inzwischen als Benchmark für westliche Unternehmen gelten.
Was hat Sie während Ihrer Recherche persönlich am meisten an Shenzhen beeindruckt oder überrascht?
WH: Ich kenne viele chinesischen Städte, aber Shenzhen ist die grünste Stadt, die ich bislang in dem Land kennengelernt habe. Dazu die Lage am Wasser, die durch die kilometerlange Uferpromenade noch besonders attraktiv erscheint. Freilich würde man als Europäer direkt am Wasser gerne das ein oder andere Lokal oder eine Bar erwarten. Aber es gibt trotzdem ein paar Oasen der Ruhe in der Stadt. Meine liebste ist das OCT Loft mit seinen Cafés, Galerien und Restaurants.
Zum Autor
Wolfgang Hirn studierte Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaften in Tübingen. Nach Stationen als Wirtschaftsredakteur arbeitet er seit vielen Jahren als Reporter beim manager magazin. Seit 1986 reist er regelmäßig nach China, ist Autor des Bestsellers »Herausforderung China« (2005) und veröffentlichte zuletzt »Der nächste kalte Krieg. China gegen den Westen« (2013).