Wirtschaft und Gesellschaft

»Der Erste Weltkrieg war der erste totale Krieg«

Der Historiker Oliver Janz im Interview über sein neues Buch »14 – Der große Krieg«

 

Was ist der größte Mythos über den Ersten Weltkrieg?

Es gibt viele Thesen über den Ersten Weltkrieg, die man als Mythen oder Legenden bezeichnen kann, weil sie komplexe Sachverhalte entstellen oder unzulässig vereinfachen. Manche enthalten durchaus einen Kern oder Rest von Wahrheit. Dazu zählt vor allem die These von der Alleinschuld Deutschlands und Österreich-Ungarns am Ersten Weltkrieg. Sie ist deshalb so wichtig, weil sie zur Grundlage des Versailler Vertrags wurde und in Deutschland so nachhaltige Verbitterung auslöste. Noch unhaltbarer ist die ebenfalls sehr verbreitete These, die beteiligten Mächte seien in den Krieg, ohne es zu wollen, »hineingeschlittert«.

War der Erste Weltkrieg 1918 wirklich zu Ende?

Im Westen endete der Krieg mit dem Waffenstillstand vom November 1918 und dem Friedensvertrag von Versailles vom Juni 1919. In Osteuropa und im Nahen und Mittleren Osten jedoch, wo der Krieg schon bis Ende 1918 mehr Opfer gefordert hatte als im Westen, ging der Krieg unmittelbar in Revolution, Bürgerkrieg und zahlreiche weitere Kriege und gewaltsame Konflikte über.

Die Menschheitsgeschichte ist voller Kriege. Was ist das Besondere am Ersten Weltkrieg?

Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, der mit riesigen Wehrpflichtarmeen und industriellen Waffensystemen geführt wurde. Er war daher auch der erste totale Krieg, in dem ganze Gesellschaften und Volkswirtschaften in großem Umfang und systematisch für die Kriegsanstrengungen mobilisiert wurden. Er war überdies der erste wirklich globale Krieg der Weltgeschichte, allerdings nicht deshalb, weil die europäischen Mächte ihren Konflikt auch außerhalb Europas austrugen, sondern weil in großem Umfang souveräne außereuropäische Staaten beteiligt waren, allen voran die USA. Der Krieg wurde letztlich durch den unterschiedlichen Zugang der beteiligten Mächte zu den globalen Märkten und Finanzzentren entschieden. Außerdem gelang es den europäischen Kolonialmächten, vor allem Frankreich und Großbritannien, die Ressourcen ihrer Imperien auf breiter Front für den Krieg in Europa zu mobilisieren.

Der Krieg hat Spuren hinterlassen, die unter anderem in der Sprache sichtbar werden. Der Begriff »08/15« zum Beispiel. Was hat es damit auf sich?

Sie stammt von der Typenbezeichnung einer Version des Maxim-Maschinengewehrs 08, die 1915 im deutschen Heer eingeführt wurde. Dieses Maschinengewehr hielt hohen Belastungen stand und wurde daher in großer Stückzahl produziert. Vor allem deshalb wurde es für die deutschen Soldaten zum Inbegriff für »standardisierte Produkte und sinnentleerte, monotone Handlungsweisen«, wie der Historiker Markus Pöhlmann schreibt. Die Redewendung ist eines der besten Beispiele dafür, wie sich Kriege in der Alltagssprache und im kollektiven Gedächtnis ablagern können.

 

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07.10.2013