Die Arbeitswelt befindet sich in einer der größten Transformationen ihrer Geschichte. Alles wird flexibler, internationaler und digitaler. Stellen Sie sich eine menschenleere Fabrik in Deutschland vor. Die schnell ineinander greifenden Arme gehören Robotern, die rund um die Uhr in rasender Geschwindigkeit arbeiten. Einmal programmiert, vollbringen sie Bestleistung und entwickeln ihre Algorithmen dabei während des Betriebs stetig weiter. Sensoren und Kameras berichten selbstständig, wenn etwas hakt. Software-Probleme beheben die Algorithmen selbst. Wenn das nicht geht, klinken sich externe Programmierer aus anderen Erdteilen ein. Für mechanische Probleme fordert das System automatisch einen selbstständigen Spezialingenieur. Ein autonom fahrender LKW bringt die Rohstoffe und holt die fertige Ware ab. Die Produktion wird just in time angeworfen, wann immer Kunden eine Bestellung aufgeben. Es gibt keine Über- oder Unterproduktion. Die Produkte werden direkt vom LKW mit Drohnen zu den Kunden gebracht, die mit ihrem Smartphone signalisieren, wo sie sich bei Auslieferung befinden. Menschen braucht es hierzu nur als Konsumenten. Der Rest läuft von selbst.
Was wie eine Zukunftsvision klingt, ist keine drei Schritte von uns entfernt – die Produktionsstätte der Zukunft. Der Sportartikelhersteller Adidas baut bereits eine erste vollautomatische Fabrik in Deutschland. Im 19. Jahrhundert begann die Massenproduktion, im 20. Jahrhundert wurde sie nach Fernost verlagert und durch günstige Lohnarbeiter verrichtet – und jetzt findet sie wieder bei uns statt. Aber die Arbeitsplätze sind auf ein Minimum reduziert und konkurrieren
weltweit über Online-Plattformen. Nicht nur in der Produktion von Waren stehen neue Zeiten an. In allen repetitiven Arbeitsabläufen übernehmen Computer, Algorithmen und Roboter vielfältige Arbeitsschritte. Das macht die Produktion billiger, da keine Lohnkosten anfallen und es nie menschelt. Es treffen dabei zwei sich beschleunigende Entwicklungen aufeinander: Die Maschinen nehmen uns die Arbeit ab und die verbleibende Arbeit wird zunehmend flexibilisiert. Der Arbeitsplatz, wie wir ihn kennen, verliert an Bedeutung. Diese technologische Revolution verhilft uns zu nie geahntem Wohlstand – allerdings profitieren heute längst nicht alle davon. Sie gleicht einem Erdbeben, das die Fundamente unserer Lebens- und Arbeitswelt umwirft. Unser Sozialsystem ist diesen Zeiten nicht gewachsen. Kein Wunder – es ist über 130 Jahre alt. Damals war es die revolutionäre Antwort Otto von Bismarcks auf die drängenden Fragen und sozialen Verwerfungen der Industrialisierung. Heute gehört es ins Museum. Neue Fragen brauchen neue Antworten. Kein technischer Gegenstand aus der damaligen Zeit hat heute noch Bestand, weder die ersten Autos oder Eisenbahnen noch Maschinen und Fabriken. Warum aber gilt das nicht für unser Sozialsystem? Es ist noch immer auf ein traditionelles Arbeits- und Familienmodell ausgerichtet – ein Vater arbeitet lebenslang fest angestellt im selben Beruf, die Mutter leistet die Familienarbeit und betätigt sich nebenbei ehrenamtlich. Wo ist da Raum für individualisierte Lebensläufe, für Gleichberechtigung, Flexibilisierung, Globalisierung? Dabei arbeiten schon heute Scharen von Selbstständigen nur noch im Projekt-Modus, sei es als Kurierdienst, Reinigungskraft, Unternehmensberater oder Webdesigner. Online-Plattformen und Apps vermitteln die Aufgaben kurzfristig und global.
Die Sozialsysteme haben die Flexibilisierung und Globalisierung der Arbeit nicht mitgemacht. Sie sind weiterhin an Nationalstaaten und feste Arbeitsplätze gebunden. Aber heute werden Erwerbsbiografien, die früher durch einen Beruf, nämlich die »Berufung« geprägt waren, zu Projekt-Portfolio- und Aufgaben-Hopping-Biografien. Sowohl die digitale Elite als auch ein in Amerika neu entstehendes digitales Einleitung 13 Proletariat von Clickworkern und per App orderbaren Dienstleistern passt nicht ins System der alten Kategorien von Wohlfahrtssystemen und Rentenversicherungen.
Was es braucht, ist eine Sozialrevolution. Sie fordert ganz neue Ideen, die unser soziales Miteinander und die sozialen Sicherungssysteme grundsätzlich neu denken und umsetzen. Die digitale Revolution führt ohne Sozialrevolution ins Chaos. Das lehren uns nicht zuletzt die verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen der Industriellen Revolution: Revolten, erstarkender Nationalismus und Kriege waren damals überall in Europa die Folge. Es gibt kaum einen Staat, der die Industrielle Revolution friedlich überstanden hat. Trump, Le Pen, Brexit – auch heute rebellieren unter anderen die zurückgelassenen Arbeiter und verhelfen Heil versprechenden Nationalisten an die Macht. Das Hauptwahlversprechen von Donald Trump war »to bring back the jobs« – die Jobs wieder zurück in die USA zu bringen, auch
wenn das vielleicht so nie mehr möglich sein wird.
Wenn wir aus der Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre etwas gelernt haben sollten, dann dass wir den sich notwendig ergebenden, fast natürlich über uns kommenden wirtschaftlichen und technologischen Revolutionen aktiv und bewusst gesellschaftlich und individuell etwas gegenüberstellen müssen, um Chaos zu verhindern. Das eine ereilt uns, das andere müssen wir erringen. Es braucht Ansätze, um die Vielfalt der heutigen und zukünftigen Welt abzubilden,
die global vernetzte Wirtschaft widerzuspiegeln und den Menschen in seinem individuellen, internationalen und sich wandelnden Lebensentwurf anzuerkennen. Führt die digitale Transformation zu paradiesischen Zuständen oder
zu einem entfesselten globalen Turbokapitalismus? Zu Maschinen, die uns von der Arbeit befreien und ein »neues Athen« möglich machen, oder zur Versklavung der Menschen durch Maschinen? Es ist offen. Es liegt an uns, diese Transformation zu gestalten. Weil die Veränderungen alle betreffen, müssen wir uns auch alle damit befassen. Wir müssen der technologischen Revolution eine entsprechende Sozialrevolution gegenüberstellen. Ein Schluss, zu dem heute nicht
nur Kapitalismuskritiker kommen, sondern Ökonomen aus allen politischen Lagern und vor allem auch immer mehr Unternehmer. Im vorliegenden Buch blicken radikale Denker unserer Zeit in die Zukunft, darunter führende Wissenschaftler, bekannte Investoren und erfahrene Politiker. Gemeinsam entwickeln sie in Analysen und Ausblicken,
wie eine Sozialrevolution gelingen kann. Dabei kommen so politisch konträre Denker wie der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und Michael D. Tanner vom einflussreichsten libertären Think Tank der USA, dem Cato Institute, zusammen. Es werden Ideen diskutiert vom bekannten Investor Albert Wenger oder dem Hirnforscher Gerald Hüther, von Natalie Foster, der Vorkämpferin für die Rechte von Arbeitern in der Digitalwirtschaft, bis zum prominentesten
Gewerkschafter der USA, Andrew L. Stern. Der Wirtschaftsprofessor Erik Brynjolfsson vom MIT, der mit der »Vierten Industriellen Revolution« das Thema des Davoser Weltwirtschaftsforums 2016 gesetzt hat, bringt ebenso Vorschläge ein wie Robert B. Reich, ehemaliger US-Arbeitsminister unter Bill Clinton und Bestsellerautor.
Das Buch geht dabei den Weg von früheren sozialen Sicherungsformen über eine Analyse der Digitalisierung bis hin zu neuen Ideen für die Gesellschaft von morgen. Das beinhaltet die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ebenso wie neuartige vertrauensbasierte Versicherungssysteme. Schließlich werden die individuellen Grundlagen der Sozialrevolution untersucht und die Frage gestellt: Braucht eine Gesellschaft mit technologischer künstlicher Intelligenz
vielleicht auch eine neue menschliche künstlerische Intelligenz? Die Zeit drängt. Es drohen Massenentlassungen und politische Verwerfungen. Wir müssen Wege finden, wie die technologische Revolution zu einer lebenswerteren Gesellschaft führt und wie eine soziale Sicherung im 21. Jahrhundert gelingen kann. Die wesentlichen Positionen der Autoren fassen wir im Kapitel »Auf den Punkt gebracht« am Ende des Buches zusammen.
Börries Hornemann und Armin Steuernagel,
Berlin/New York, 2017
Die Herausgeber
Börries Hornemann, geboren 1983, ist Unternehmer, Sozialinnovator, Journalist und Mitgründer des Forschungsnetzwerks Neopolis. Er studierte Erziehungswissenschaften, Geographie, Philosophie und Kulturreflexion in Bochum und Witten/Herdecke.
Armin Steuernagel, geboren 1990, ist mehrfacher Unternehmensgründer (u.a. Mogli), Gründer der Purpose Stiftung und des Purpose Investmentfonds. Er studierte Philosophie, Politik und Ökonomie in New York, Oxford und Witten/Herdecke. Armin Steuernagel ist Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome.
Weitere Informationen: www.sozialrevolution.de