Ihr neues Buch heißt »Das geopolitische Risiko« und beschäftigt sich mit den Konsequenzen der neuen Weltordnung für Unternehmen. Ist es Zeit, das Thema weiter oben auf der unternehmerischen Agenda zu positionieren?
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: Unbedingt. Die Globalisierung, so wie wir sie kannten, mit weitgehend freiem Handel und globaler Effizienzoptimierung, ist vorbei. Vielmehr dominieren fragmentierte Märkte und gleichzeitig der Missbrauch von Finanzströmen, Regulierung und Technologie als politisches Machtinstrument. Mit immensen Folgen für Unternehmen: Quasi über Nacht, mit einer Unterschrift eines Machthabers, kann ein ganzes Geschäftsmodell in Schieflage geraten, indem zum Beispiel der Einsatz bestimmter Zulieferkomponenten verboten wird oder, umgekehrt, der Verkauf von Produkten in bestimmte Länder.
Worin liegen die größten Risiken für Unternehmen?
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: Drei Themen dominieren die geopolitische Landschaft: Der US-China-Konflikt, das Thema ESG (Environmental Social Governance) sowie Technologie. Das größte Risiko ist, die Bedeutung dieser Themen für das eigene Unternehmen zu unterschätzen und damit reaktiv statt proaktiv zu handeln. Alle Themen sind Vorstandsthemen und erfordern ein Umdenken in der Führungsetage. Vielleicht mögen wir diese neue Welt nicht – aber wir müssen uns an sie anpassen, auch um die sich ergebenden Chancen zu ergreifen. Mehr Komplexität bedeutet mehr Bedarf für neue Lösungsangebote.
Geopolitische Risiken sind selten klar vorhersehbar. Stellen Sie in Ihrem Buch Instrumente vor, mit denen Unternehmen für die »unsichere« Zukunft gewappnet sind?
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: Ja, das ist ein Schwerpunkt des Buches. Unternehmen sollten zum Beispiel ein globales Monitoring und Frühwarnsysteme aufbauen. Ebenso sind ein regelmäßiger Austausch mit Außen- und Sicherheitspolitiker_innen, Think-Tanks, Diplomaten und Militärs zu empfehlen – etwa um zu verstehen, welche geopolitischen Themen das Potenzial haben, dem eigenen Geschäft die Grundlage zu entziehen. Szenario-Modellierung ist eine sehr geeignete Methode, um mit Unsicherheit umzugehen. Darüber hinaus helfen Anpassungen in der Corporate Governance und ein Mainstreaming der geopolitischen Themen über alle Funktionen hinweg.
Auch die Themen Environmental Social Governance (ESG) und Technologie spielen in ihrem Buch eine Rolle. Inwiefern?
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: ESG is here to stay. Es ist weit mehr als Corporate Social Responsibility oder Greenwashing. Noch nie gab es – vor allem getrieben vom Kapitalmarkt, aber auch von Regulatoren und Kunden – so viel Druck auf Unternehmen, wirklich nachhaltig zu handeln. Und das in allen drei Dimensionen: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Aber auch hier: Die Unternehmen, die diese Themen nicht als Belastung, sondern als Chance sehen, können daraus positive Geschäftsimpulse gewinnen. Purpose drives profit, oder auf Deutsch: Mehr Sinn – mehr Gewinn.
Auch geopolitische Technologiethemen sind von nun an Vorstandsthemen – und müssen mit Kompetenz und breitem Wissen diskutiert werden. Welche Technologien werden von welchen Herstellern wo produziert und in welchen Ländern eingesetzt? Welche Daten werden wo erhoben und wo verarbeitet? Das ist die Basis, auf der das jeweilige geopolitische Risiko bewertet werden kann. Da Unternehmen immer stärker digitalisiert und technologisiert werden, sind diese Themen nicht nur etwas für Technologieunternehmen, sie betreffen alle.
Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen: Alle, die sich für die konkreten Auswirkungen der neuen geopolitischen Weltordnung auf Unternehmen interessieren und die wissen wollen, was jetzt zu tun ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Autoren
Dr. Katrin Suder ist eine der renommiertesten Strategie- und Technologieexpert_innen Deutschlands. Die Physikerin hat Mandate in diversen Aufsichtsräten, leitete als Vorsitzende den Digitalrat der Bundesregierung unter Angela Merkel und berät als Partnerin von Macro Advisory Partners (MAP) S&P-500-Unternehmen und DAX-Konzerne. Sie war Direktorin bei McKinsey & Co. und Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium.
Jan Friedrich Kallmorgen berät seit 15 Jahren internationale Investoren und Unternehmen an der Schnittstelle von (Geo-)Politik, Kapitalmarkt und Wirtschaft. Nach Tätigkeiten bei der Investmentbank Goldman Sachs, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sowie verschiedenen Thinktanks und Public-Affairs-Firmen hat der ausgebildete Historiker und Politikwissenschaftler 2017 das Beratungshaus Berlin Global Advisors (BGA) gegründet.