»Die heutigen Herausforderungen können wir mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr meistern«: Auf der Suche nach neuem Management.
Fredmund Malik: Das ist erstmals die beinahe einhellige Sicht von Top-Führungskräften. Eine klare Ansage – ohne Wenn und Aber! Man beachte aber: Die Top-Führungskräfte sagen nicht, dass man die Herausforderungen gar nicht mehr meistern könne. Sondern sie sagen: Mit den herkömmlichen Mitteln kann man sie nicht mehr meistern. Sie meinen damit die bisherigen Managementpraktiken und Instrumente. Sie erkennen, dass für die neuen, speziellen Herausforderungen auch eine neue Art von Management nötig ist mit neuen Praktiken, Methoden und Tools.
»Wir betreten Neuland«: Was zu tun ist, wissen viele. Aber wie?
Fredmund Malik: Alle wissen, dass man Digitalisieren muss. Inzwischen ist das zum Allgemeingut geworden. Viele haben damit aber nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Denn immer öfter stellt es sich heraus, dass man mit der Digitalisierung nichts wirklich Neues geschaffen hat. Warum? Weil die bisherigen Prozesse weitgehend unverändert geblieben sind. Man hat also zwar digitalisierte Prozesse – die aber weiterhin die alten sind. Wirklich neue Lösungen fordern auch eine radikal neue Art der Umsetzung.
»Es gibt immer mehr Nein-Sager«: Bisheriges Change-Management verhindert Change!
Fredmund Malik: Diese Aussage gehört zu den bedeutendsten Änderungen. Man gibt die frühere Hoffnung auf, dass Menschen sich sowohl wirksam als auch dauerhaft ändern. Das betrifft nicht etwa nur die älteren Menschen, sondern auch die jüngeren, die sich mit grundlegendem Change schwertun. Die bisherige Art des Change-Managements ist methodisch nicht mehr stark genug, um den fundamentalen Wandel der »Großen Transformation« wirksam herbeizuführen, richtig zu nutzen und auch zu stabilisieren. Es entstehen Erwartungen, die man nicht erfüllen kann. Die Menschen sind enttäuscht und entmutigt. Das Gegenteil von Change ist eingetreten. Aber es gibt noch eine andere Lösung! Sie lautet: Lass die Menschen so, wie sie sind. Aber gib ihnen neue Tools, mit denen sie anders handeln können, ohne sich selbst ändern zu müssen. Mit dieser Lösung entstehen keine Ängste und keine Widerstände gegen Change, sondern positive Triebkräfte für die Gestaltung des Neuen. Als Beispiel: Um ein Smartphone zu benutzen, musste man nicht seine Persönlichkeit, seinen Charakter, sein Wesen verändern … Deshalb hat es sich rasch durchgesetzt. Als Folge – nicht als Ursache haben die Menschen dann auch neue Kommunikationsgewohnheiten entwickelt.
»Wir müssen uns für die Zukunft neu erfinden …«: Man braucht dafür drei Strategien. Eine allein genügt nicht.
Fredmund Malik: Für 100 Prozent der Befragten stehen strategische Fragen ganz oben auf ihrer aktuellen Agenda. Allerdings erkennen weniger als 30 Prozent, dass man mehr als eine Strategie, nämlich drei Strategien braucht:
• Strategie 1 ist nötig für die Nutzung der noch brauchbaren, bereits vorhandenen Potenziale der Alten Welt.
• Strategie 2 ist nötig für den Aufbau der neuen Potenziale für die Neue Welt.
• Strategie 3 braucht man für das Transformationsmanagement, für den Übergang von der Alten Welt in die Neue Welt.
»Es besteht das Risiko irreführender Navigation«: Vernetzung bedeutet Komplikationszuwachs.
Fredmund Malik: Mit häufiger Verwendung des Wortes »Digitalisierung« ist im Unternehmen noch nichts gewonnen. Digitalisierung ist ein »alter Hut«. Bereits seit Mitte der 1970er-Jahre gibt es genügend Digitalisierung. Es gab damals auch das berühmte US-Unternehmen mit dem trefflichen Namen »Digital Equipment Corporation«. Das Wichtige an der Digitalisierung ist die Vernetzung, die sie ermöglicht, und vor allem: die Selbst-Vernetzung. Vernetzung bedeutet Komplexitätszuwachs. Je stärker die Vernetzung ist, desto komplexer ist das System. Nun besteht erstmals die Möglichkeit in der Welt, dass sich alles mit allem vernetzt – und zwar: global. Vernetzung ist die Quelle von dynamischer Komplexität.
»Alles ist sehr kompliziert …«: Oder ist es komplex?
Fredmund Malik: Der neue Umgang mit Komplexität Viele scheuen vor Komplexität zurück und wollen diese reduzieren. Man verwechselt Komplexität aber mit Kompliziertheit, zum Beispiel mit Bürokratie. Kompliziertheit soll man reduzieren. Komplexität soll man aber nutzen, denn sie ist die »Goldmine« der Zukunft. Komplexität ist die Quelle von Intelligenz, Kreativität und Innovation, von reichhaltigen Aktionsmöglichkeiten. Komplexität kann man daher kreativ nutzen. 7. »Wir haben Kultur-Stress«: Was nicht funktioniert, wird neuerdings in den Kultur-Topf geworfen. Professionellen Führungskräften fällt zunehmend auf, dass in ihren Organisationen alles, was schlecht funktioniert, in denselben Topf geworfen wird, nämlich in den »Kultur-Topf«. Es wird von »fehlender«, »schlechter«, »falscher« oder »unzureichender« Organisationskultur gesprochen. Kultur muss für alles herhalten, was »nicht richtig funktioniert«. Funktionsmängel können aber weitab von jeder Kultur viele Ursachen haben: Unzureichende Strategien, ungeeignete Strukturen, falsche Personalentscheide, mangelhaftes Managementwissen und dysfunktionale Kommunikation. Diese wirken sich zwar in der Kultur aus, werden dort spürbar, aber die Ursachen dafür liegen meist woanders.
Dieser Text ist ein Ausschnitt aus »Was lässt Sie nachts nicht schlafen? Erste Hilfe für Führungskräfte von Fredmund Malik. Für eine Zweitverwertung kontaktieren Sie bitte Nina Schellhase unter schellhase@campus.de