Die Eliten bilden eine tragende Säule der Gesellschaft, sollte man denken. Sie sagen, die Eliten höhlen mit Ihrem Verhalten die Demokratie aus? Gehört die verantwortungsbewusste Elite mittlerweile der Vergangenheit an?
Michael Hartmann:Auch in der Vergangenheit waren die Eliten oft alles andere als verantwortungsbewusst. Man denke nur an die Rolle der deutschen Eliten im Nationalsozialismus und in den beiden Weltkriegen. Nach dem 2. Weltkrieg waren die Eliten in den meisten Industriestaaten allerdings stärker als zuvor darauf bedacht, auch für die große Mehrheit der Bevölkerung Verbesserungen zu erreichen. Das hat entscheidend mit der Stärke der Gewerkschaften und der breiten sozialen Rekrutierung der politischen Elite zu tun. Seit die Gewerkschaften deutlich an Bedeutung verloren haben und die politische Elite sich sozial immer exklusiver rekrutiert, ist es damit vorbei. Nun zählen die Interessen der breiten Bevölkerung zunehmend weniger.
Sie zeigen in Ihrem Buch, wer eigentlich die Elite ist und wie sie sich stetig aus sich selbst erneuert. Gibt es überhaupt noch jemand, der dieses offenbar hermetische System betreten kann?
Michael Hartmann: Die gibt es, allerdings in unterschiedlichem Maß je nach Sektor. In der Wirtschaft stammt nur ein Fünftel der Elitemitglieder aus den unteren 95 Prozent der Bevölkerung, und das stabil seit Jahrzehnten. In der politischen Elite ist es hierzulande immerhin noch ungefähr die Hälfte. Bis Ende der 1990er Jahre waren es allerdings noch zwei Drittel. Auch hier hat die Rekrutierung aus dem schmalen oberen Segment der Bevölkerung spürbar zugenommen. In Großbritannien oder den USA fällt diese Veränderung sogar noch deutlich stärker aus.
Die Verteidigung der sozialen Unterschiede werde von der Elite häufig als Leistungsgerechtigkeit propagiert. Eine Ausrede?
Michael Hartmann: Es ist weniger eine bewusste Ausrede als vielmehr eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit. Durch die exklusive soziale Rekrutierung der Eliten dominiert dort ein sehr eingeengter Blick auf die gesellschaftliche Realität. Wer in wohlhabenden oder gar reichen Familien groß geworden ist, dessen Denken ist geprägt von den Vorstellungen, die in diesen Kreisen vorherrschen. Man selbst leistet sehr viel und verdient entsprechend, der Staat nimmt einem davon zu viel in Form von Steuern weg, er kann mit Geld aber nicht umgehen und Steuerhinterziehung ist deshalb eher ein Kavaliersdelikt. So denken dort viele und das prägt einen dann eben schon ab Kindesbeinen. Dazu kommt noch die eigene privilegierte Stellung. Man gehört mit seinem Einkommen zum obersten Prozent, hat in der Regel Vermögen geerbt und ist von Problemen wie hohen Mieten, schlecht ausgestatteten Schulen etc. selbst nicht betroffen. Das bestimmt die eigene Wahrnehmung und das eigene Handeln.
In ihren bisherigen Büchern stand die Wirtschaftselite im Zentrum der Betrachtung. Im aktuellen Buch werfen Sie vor allem einen Blick auf die politische Elite. Warum?
Michael Hartmann: Die Wirtschaftselite ist die mächtigste aller Eliten. Daher stand sie immer im Mittelpunkt. Allerdings habe ich vor allem in den Büchern »Eliten und Macht in Europa« und »Soziale Ungleichheit. Kein Thema für die Eliten?« auch der politischen Elite schon viel Aufmerksamkeit gewidmet. Diesmal gilt mein Blick vor allem ihr, weil es mir darum geht, die herrschende Sicht von der Alternativlosigkeit der neoliberalen Politik zu entlarven. Diese Politik ist nicht alternativlos, sondern steht in einem klaren Zusammenhang mit der Rekrutierung der politischen Elite und der daraus resultierenden Sicht auf die gesellschaftliche Situation. Bürger- und Großbürgerkinder machen eben eher Politik für ihresgleichen und nicht für die Masse der Bevölkerung.
Sie sind Optimist und sagen, ein Wandel ist möglich. Wer kann an der bestehenden Situation etwas ändern?
Michael Hartmann: Änderungen sind nur über die Politik möglich. Wie das Beispiel der Labour-Party zeigt, ist es möglich, durch Basisbewegungen und eine Aktivierung der Parteibasis eine durchgreifende soziale Öffnung der politischen Elite zu erreichen und dem Dogma der alternativlosen neoliberalen Politik etwas entgegenzusetzen. Corbyns Motto „Für die vielen, nicht für die wenigen“ ist das Gegenstück zu Thatchers neoliberaler Parole »Es gibt keine Gesellschaft, sondern nur Individuen«.
Michael Hartmann war bis Herbst 2014 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Sein Schwerpunkt ist Elitenforschung. Hartmann steht für die These, dass Herkunft maßgeblich über den Erfolg entscheidet. Bei Campus sind von ihm mehrere Bücher zum Thema Elite erschienen, zuletzt "Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende" (2016).
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