Wir leben in einer Sichtbarkeitsökonomie, das heißt, wer nicht sichtbar ist, findet nicht statt. Was heißt das konkret?
Oliver Pott: Eine gängige Definition lautet, dass alles, was zum Kauf hinführt, zum Marketing zählt. Der allererste Kontakt zum Kunden und damit des Verkaufs ist die Sichtbarkeit. Wenn Sie den weltbesten Käse haben, mehrfach prämiert und ausgezeichnet, aber der Kunde findet ihn nicht im Käseregal, dann machen Sie keinen Umsatz. Ein Produkt existiert gar nicht am Markt, wenn es von der Zielgruppe nicht wahrgenommen wird.
Weil Sichtbarkeit die allererste Stufe zum Verkauf ist, müssen Sie diesen ersten Eindruck genau im Auge haben! Sie urteilen innerhalb weniger Sekunden, ob Ihnen ein Mensch sympathisch oder unsympathisch ist. Diesem ersten Eindruck später entgegenzuwirken, ist nur mit größtem Aufwand und viel Beziehungsarbeit möglich. Doch möglicherweise hatte Ihr gegenüber einfach nur einen schlechten Tag, Kopfschmerzen oder eine schlechte Nachricht zu verdauen? Solche Verzerrungen in der ersten frühen Sichtbarkeit sind als »Halo-Effekt« intensiv erforscht. Ein Beispiel: Ein attraktiver, höflich auftretender Schüler, namens Alexander, der sich sprachlich gut ausdrücken kann, bekommt bei gleicher Leistung eine bessere Note als ein übellauniger Kandidat mit dem Namen Kevin, der mit starkem Dialekt spricht. Der Prüfer überträgt hier die sichtbaren Zeichen auf die eigentliche Leistung. Das ist selbstverständlich unzulässig. Kunden aber urteilen genauso vereinfacht und reduzieren Sie und Ihre Produkte auf den ersten Eindruck Ihrer Sichtbarkeit.
Mein Fazit: Unternehmen, die ihren ersten Eindruck unter Kontrolle behalten und hochwertig aufbauen, können die erste und damit wichtigste Wahrnehmung beim Kunden direkt steuern. Ein Unternehmen, das smarte Sichtbarkeit erzielt und im ersten Eindruck makellos erscheint, hat einen großen Vorsprung im Verlauf des Verkaufsprozesses.
Sichtbar ist nicht gleich sichtbar – und es gibt sogar eine negative Form, die »toxische Sichtbarkeit«. Sie identifizieren in ihrem Buch drei Dimensionen werthaltiger Sichtbarkeit. Welche sind das?
Oliver Pott: Die Digitalisierung hat einen Perspektivwechsel eingeläutet. Es kommt nicht länger auf die Reichweite Ihrer Sichtbarkeit an, also die Menge der Augenpaare, die Sie sehen. Viel wichtiger ist eine werthaltige Sichtbarkeit möglichst genau in Richtung Ihrer Kundengruppe. Dabei ist es gleich, ob Sie als Arzt, Anwalt, Therapeut oder Coach Ihr Wissen anbieten oder ob Sie ein physisches Produkt vermarkten wollen.
Sie sind hochspezialisierter Steuerberater oder Kniechirurg? Dann könnten Sie beispielweise im Dschungelcamp auftreten und werden damit gegenüber Millionen von Zuschauern sichtbar. Das jedoch ist offenkundig keine gute, werthaltige Form der Sichtbarkeit – vermutlich sogar toxische Sichtbarkeit, die Ihrem Ruf eher schadet. Zu besseren Kunden und mehr Umsatz führt das nicht, und auch in Ihre Marke zahlt ein solcher Auftritt nicht ein.
Sie können es aber auch machen wie E3/DC, einer Firma aus Osnabrück mit einem skurrilen Namen, die Stromspeicher für Privathäuser herstellt und von der Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben. Den Chef der Firma, Dr. Andreas Piepenbrink, sieht man vermutlich nicht im Dschungelcamp.
E3/DC ist nur einer engen Kundengruppe gegenüber überhaupt sichtbar, hat ein geringes Werbebudget und setzt dennoch 120 Millionen € pro Jahr um. Das Unternehmen ist auf hochwertige Weise sichtbar und erfüllt prototypisch die drei Dimensionen smarter Sichtbarkeit:
1. E3/DC erzielt einen außergewöhnlich hohen Relevanzgrad gegenüber ihren Kunden,
2. das Unternehmen genießt Autorität (und damit Deutungshoheit). Der Firmengründer Dr. Andreas Piepenbrink gilt als führender, häufig zitierter Experte im Markt der Energiespeicher,
3. E3/DC speichert die eigene Sichtbarkeit in einer authentischen, gut erzählten Geschichte. Dieses Storytelling zahlt nebenher in die eigene Marke ein.
Unternehmen, denen es gelingt, diese drei Dimensionen smarter Sichtbarkeit zu erobern, haben in ihrem Markt einen uneinholbaren, dauerhaften Vorsprung.
Leise ist das neue laut? Sie verkünden in ihrem Buch eine gute Nachricht. Sie lautet: Heute lässt sich hochwertige Sichtbarkeit planbar und mit geringstem Budget einkaufen. Über welche Kanäle / Tools gelangt man zu dieser smarten Sichtbarkeit?
Oliver Pott: Wenn Sie die drei Kriterien Relevanz, Autorität und Storytelling berücksichtigen, hören Ihnen die Kundinnen und Kunden genau zu. Im Buch beschreiben wir zum Beispiel einen Golfausrüster, der 30-minütige Werbevideos im Internet veröffentlicht – und die Zielgruppe schaut sich jedes Video bis zur letzten Minute an. Auch E3DC im obigen Beispiel hat Videos, die sogar noch deutlich länger sind und die von den Kunden regelrecht verschlungen werden. Das ist leise Sichtbarkeit, die gar nicht schrill und laut sein darf.
Die gute Nachricht ist: Leise Sichtbarkeit ist als Rohstoff verfügbar wie Mehl für den Bäcker, denn nahezu das einzige Geschäftsmodell von Google, Instagram & Co besteht darin, Sichtbarkeit gegenüber relevanten Zielgruppen herzustellen und an Business-Kunden zu verkaufen.
Sehr hochwertige, weil passgenaue Sichtbarkeit können Sie für sehr geringe Budgets wie 20 oder 30 Euro pro Tag einkaufen.