In Ihrem Buch »Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit« beleuchten Sie den Karikaturenstreit in Dänemark. Ist dieser Konflikt ein Indiz für einen »Kulturkampf« zwischen dem islamischen und dem westlichen Kulturkreis?
Zumindest wollen viele Menschen das so sehen. Es passt ja auch so gut: Eine dänische Zeitung macht von der Pressefreiheit Gebrauch, veröffentlicht Mohammed-Karikaturen und daraufhin verbrennen Hunderttausende wütende Muslime dänische Fahnen und zünden Botschaftsgebäude an. Das freiheitlich-demokratische Abendland gegen das religiös-rückständige Morgenland, sozusagen.
Sie sind also eher skeptisch, was diese Betrachtungsweise angeht?
Ich will die gewaltsamen Proteste von damals gar nicht relativieren. Vor dieser Eskalation – und bis dahin vergingen immerhin vier Monate – stand aber in Dänemark eine Debatte, in der es um viel mehr ging als nur die Mohammed-Karikaturen. Dänische Muslime und ausländische Diplomaten protestierten nicht allein gegen die Zeichnungen, sondern kritisierten ganz generell eine wachsende Fremden- und Islamfeindlichkeit in Dänemark. Dafür hatten sie gute Gründe. Die damalige rechtsliberale Regierung machte Einwanderern das Leben durch immer neue Gesetzesverschärfungen schwer. Und in Politik und Medien gab es eine in sehr scharfem Ton geführte Diskussion über Integration, die mich in ihrer Aufgeregtheit an die Sarrazin-Debatte hier bei uns erinnert.
Wie weit darf Satire aus Ihrer Sicht gehen?
Die Satirefreiheit ist unbegrenzt. Ich finde aber, es kommt darauf an, was mit einer Grenzüberschreitung bezweckt wird, welches Motiv der Urheber etwa mit einer Mohammed-Karikatur verfolgt. Gibt es einen Erkenntnisgewinn, oder geht es darum, jemanden zu verletzen, um eine Provokation nur um der Provokation willen? Dann finde ich das sehr problematisch. Die dänischen Mohammed-Karikaturen waren gar nicht alle schlecht. Das Problem war der geballte Abdruck von zwölf Zeichnungen auf einer ganzen Seite in Verbindung mit als ausgrenzend empfundenen Texten. Kulturredakteur Flemming Rose schrieb etwa, Muslime müssten damit leben, dass man sie in Dänemark »Hohn, Spott und Lächerlichmachung« aussetze. In einem Leitartikel war die Rede von »verrückten Mullahs«, die eine »fast Übelkeit erregende Überempfindlichkeit gegen jeden Widerspruch« an den Tag legten. Das spricht nicht unbedingt für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Instrument der Satire.
Wird das Argument der Presse und Meinungsfreiheit im Karikaturenstreit zuweilen auch missbraucht?
Zumindest zweifele ich stark an, dass es Jyllands-Posten mit den Karikaturen nur darum ging, die Pressefreiheit zu verteidigen. Natürlich durfte die Zeitung die Karikaturen veröffentlichen, das hat im Übrigen auch kaum jemand bestritten. Ich denke, es ging primär um Aufmerksamkeit.
Der Karikaturenstreit in Dänemark ist eine Weile her. Mit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo und dem Attentat in Kopenhagen erhält die Debatte eine neue Brisanz. Was können wir aus Ihrer Analyse des dänischen Konflikts für die aktuellen Ereignisse lernen?
Die Anschläge von Paris und Kopenhagen, wo der mutmaßlich islamistische Täter unter anderem eine Diskussionsveranstaltung mit dem schwedischen Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks angegriffen hat, waren das Werk von Extremisten und sind durch nichts zu rechtfertigen, genauso wenig wie Morddrohungen gegen die dänischen Karikaturisten. Schon damals hat sich aber gezeigt, dass jeder neue Abdruck der Mohammed-Karikaturen neue Gewalt etwa in Pakistan, den Palästinensergebieten oder Nigeria provozierte. Man kann natürlich argumentieren, dass die Zeichnungen gerade deshalb gezeigt werden müssen. Ich halte eine solche »Jetzt erst Recht«-Haltung aber nicht für hilfreich, weil die gegenseitige Empörung auf beiden Seiten Ressentiments verstärkt. In Dänemark bekam etwa die rechtspopulistische Dänische Volkspartei durch den Karikaturenstreit noch mehr Zulauf.
In Ihrem Buch wird klar, dass bestimmte Aspekte und Details in der Presse falsch dargestellt oder zumindest stark vereinfacht werden. Ist das Flüchtigkeit in der Recherche oder wird hier auch Meinung gemacht?
Ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Meinungsmache sprechen. Einige Details wurden einfach erst später bekannt, wie etwa die Tatsache, dass Botschafter muslimisch geprägter Staaten und Imame sofort mit Briefen auf die Karikaturen reagierten und nicht erst, als Jyllands-Posten gezielt bei Muslimen nachhakte, ob sie die Zeichnungen als Provokation empfänden. Der Protest fand zunächst im Verborgenen statt. Oft werden auch alle zwölf dänischen Mohammed-Karikaturen Kurt Westergaard zugeschrieben. Dieser Flüchtigkeitsfehler selbst in Qualitätsmedien ist wohl der Tatsache geschuldet, dass Westergaard als einziger der dänischen Zeichner hierzulande wirklich bekannt ist, weil er immer wieder Interviews gegeben hat und mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurde.
Was war Ihre größte Erkenntnis während der Recherche zu Ihrem Buch?
Dass man den Karikaturenstreit nicht auf die Frage der Presse- und Satirefreiheit reduzieren kann. In Dänemark ist durch die Mohammed-Karikaturen zunächst einmal eine seit Jahren andauernde Integrationsdebatte eskaliert, durch deren Heftigkeit sich viele Einwanderer verständlicherweise ausgegrenzt fühlten. Am Ende steht für mich die Erkenntnis, dass es wesentlich sinnvoller ist, mit Migranten zu sprechen anstatt immer nur über sie. Ein »Wir« gegen »die Anderen« bringt niemanden weiter.
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Zur Person: Jana Sinram studierte Politikwissenschaft, Nordische Philologie und Europäische Ethnologie in Kiel, Stockholm und Münster und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitet als Nachrichtenredakteurin beim Deutschlandfunk in Köln