»Machtwirtschaft, nein danke«, lautet der Titel Ihres neuen Buches. Was ist mit Machtwirtschaft konkret gemeint?
Gerhard Schick: Der Marktwirtschaft liegt die clevere Idee zugrunde, dass der Einzelne nur dann mit seinen Wünschen Erfolg hat, wenn er den anderen einen Dienst erweist. Das meint Adam Smith mit dem Beispiel vom Bäcker, der nicht aus Nächstenliebe sein Brot verkauft, sondern weil er durch den Verkauf von Brot seinen eigenen Zielen näher kommt. Deswegen wird er versuchen, sich an den Bedürfnissen seiner Kundinnen und Kunden zu orientieren. Ein freiheitlicher Ansatz, weil nicht irgendjemand entscheidet, was für uns gut ist, sondern wir das, innerhalb sinnvoller Marktregeln, selber für uns entscheiden dürfen. Das Dumme ist nur, dass in der heutigen Machtwirtschaft genau dieser Grundgedanke immer weniger funktioniert. Wir erhalten Finanzprodukte, die uns am Ende sogar ärmer machen, weil sie von Anfang an nur auf Profit der Anbieter, Emittenten und Vermittler sowie auf Übervorteilung der Anleger ausgelegt sind. Wir bekommen Nahrungsmittel, die unserer Gesundheit schaden. Unternehmen steuern unsere Wünsche durch aufwendige Werbekampagnen, die gezielt unsere Schwächen ausnutzen und versuchen, unseren Geschmack zu prägen. Durch Marktmacht erzielen Unternehmen bessere Renditen, ohne dass ihre Produkte für die Kundinnen und Kunden besser wären als diejenigen der Konkurrenz. Dabei ist die Macht der transnationalen Unternehmen und die Kontrolle über deren Einkünfte stark konzentriert. In einer »Supereinheit« schaffen es 147 Konzerne, Einfluss auf knapp 40 Prozent der Unternehmenswerte aller transnationalen Konzerne weltweit auszuüben. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern die Netzwerkanalyse der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich
Der Staat ist für die Bürger da – hat dieses Ideal eigentlich noch Gültigkeit?
Gerhard Schick: Große Unternehmen und Staat stehen heute häufig eher in einer symbiotischen Beziehung, als dass der Staat die großen Unternehmen kontrollieren würde. Die Strategie, mittels staatlicher Institutionen individuelle Interessen zu verfolgen, ist häufig lohnend. Doch wie soll es gut gehen in einer Demokratie, wenn die Mehrzahl der Menschen spürt, dass trotz gut klingender Reden viele Politiker lieber mit den Reichen und Mächtigen kuscheln, als für die Anliegen zu kämpfen, die für die meisten Menschen wichtig sind? So ist dieser Staat für viele Menschen nicht mehr ihr Staat. Es ist der Staat der anderen. 79 Prozent der Bundesbürger verneinen beispielsweise die Frage, ob das Volk in Deutschland wirklich etwas zu sagen habe. Deswegen ist die Antwort, dass wir jetzt den Primat der Politik durchsetzen und die Märkte stärker regulieren müssen, zu einfach. Sie ist angesichts der Erfahrung, die viele Menschen mit staatlichen Institutionen und politischen Entscheidungsträgern machen mussten, ein leeres Versprechen.
Warum wehren sich die Bürger nicht, wenn die Regierung nicht hinter ihnen steht. Anders gesagt: Brauchen wir mehr »Mutbürger«?
Ja, wir brauchen mehr Menschen, die den Mut haben, sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Da ist mehr gefragt als die Wut gegen einzelne Projekte. Doch das Versprechen der Konsumgesellschaft, dass wir uns über die Gestaltung unserer Gesellschaft keine Gedanken mehr machen müssen, bedroht die Basis der demokratischen Mitbestimmung. Die Unverbindlichkeit einer Politik, die den Status quo möglichst geräuschlos verwaltet, lähmt. Doch wenn der Großteil der Bevölkerung nicht mehr bereit oder in der Lage ist, für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft das nötige Engagement aufzubringen, dann muss das irgendwann zur Unfreiheit führen. Die Lethargie der Verklärer und der Machtwille der Profiteure ergänzen sich so zu einer zerstörerischen Melange.
Unternehmen wie die Deutsche Bank, Daimler oder die Deutsche Bahn haben in Deutschland zu viel Macht. Zentrales Beispiel ist aus Ihrer Sicht die Bankenrettung - als eine der größten Umverteilungen (von unten nach oben) in der jüngeren Geschichte. Wie konnte es dazu kommen, dass die Bürger über die Staatsschulden die Kosten dieser Operation abtragen?
Gerhard Schick: Dieses große Umverteilungsprojekt konnte und kann nur deshalb stattfinden, weil die meisten Menschen bei finanzpolitischen Themen schnell abschalten. Doch es ist wesentlich einfacher zu verstehen, als man glaubt. Und wenn man es einmal verstanden hat, geht einem der Hut hoch. Bei der in Europa durchgeführten bedingungslosen Bankenrettung garantiert der Staat die Schulden der strauchelnden Banken oder bezahlt diese Schulden, indem er der Bank dafür Geld gibt. Aus diesem Grund sind in vielen Ländern, auch in Deutschland, die Staatsschulden in die Höhe geschnellt. Wem hilft das? Natürlich nicht eigentlich der Bank, das ist ja nur ein Unternehmen, eine juristische Person, eine Hülle sozusagen. Wirklich profitieren tun diejenigen, denen die Bank Geld schuldet, die dieser Bank also Geld geliehen haben. Das sind zum Beispiel Fonds, Versicherungen oder auch Unternehmen beziehungsweise die hinter ihnen stehenden Privatpersonen. Man hat die Apokalypse an die Wand gemalt und vor diesem Drohszenario behauptet, dass Staaten alle Bankschulden garantieren sollen. Doch die geschonten Gläubiger sind in der großen Mehrzahl Menschen, die zu den obersten zehn Prozent gehören. Die Stabilisierung dieser Vermögen durch Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist also eine gigantische Umverteilung von unten nach oben.
Sie fragen sich in Ihrem Buch, wie eine Wirtschaftspolitik für ein Land aussehen kann, das geringe Wachstumsraten hat. Haben Sie darauf eine Antwort?
Gerhard Schick: Trotz der vielfältigen Stimmen gegen die blinde Wachstumsorientierung in der seit Jahren lebendigen Debatte gibt es bislang keine Studie für Deutschland, was denn eigentlich genau bei anhaltendem Null- oder Negativwachstum passieren würde, was die wirtschaftlichen Folgen wären, mit denen wir uns konfrontiert sähen. Für Kanada hat Wirtschaftswissenschaftler Peter Victor einmal derartige Berechnungen angestellt. Sein Ergebnis: Selbst ohne Wirtschaftswachstum ist es möglich, Vollbeschäftigung zu erreichen, Armut zu verhindern, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und den Staatshaushalt auszugleichen. Das hört sich einfach an, bedarf aber auch sensibler Steuerung. Die panische Angst der Politik vor einer wachstumslosen Zeit ist berechtigt, so der Autor, denn ein schlagartiger Umstieg auf Nullwachstum birgt auch große Gefahren. Genau eine solche Simulation will ich nun auch für Deutschland vorantreiben, um klarzumachen, wie denn eine Nullwachstumsökonomie aussehen würde. Erst dann nämlich haben wir eine Alternative zum bisherigen Pfad vor Augen und können als Gesellschaft sinnvoll darüber sprechen, was die Ziele sind, die wir gemeinsam erreichen wollen, und wie der Weg dahin aussehen kann.
Sie gelten als ein Finanzexperte, der »auf Augenhöhe« mit den Großen der Wirtschaft diskutiert und Unternehmen wie der Deutschen Bank durchaus gefährlich werden kann. Stehen Sie für einen neuen Politiker-Typ?
Ich denke, die Deutsche Bank ist aufgrund ihrer Machtposition heute wesentlich gefährlicher für unsere Gesellschaft als ich für die Deutsche Bank. Richtig ist aber, dass für die großen Geldhäuser plattes Banken-Bashing viel einfacher abzuwehren ist, als wenn wir sie an die Prinzipien der Marktwirtschaft erinnern und einfordern, dass diese Regeln auch für sie gelten müssen. Und die Sachargumente sind da auf meiner Seite: Großbanken wie die Deutsche Bank erhalten de facto nach wie vor eine staatliche Bestandsgarantie, das wirkt wie eine milliardenschwere Subvention, die kleine Banken nicht bekommen.
Ich erfahre aber ebenfalls tagaus, tagein, dass die Sachkenntnis, um die ich mich bemühe, nie weitreichend genug sein kann und auch nicht einfach zu mehr Einfluss führt. Ich spüre eben auch meine Ohnmacht angesichts der Machtstrukturen, die ich in meinem Buch geschildert habe, und weiß: Diese Machtverhältnisse werden sich nur ändern lassen, wenn wir gemeinsam an ihrer Überwindung arbeiten – an unserer jeweiligen Stelle in der Gesellschaft. Das hat auch ganz konkrete Auswirkungen auf meine politische Arbeit. Bei manchen Themen konnte ich nur aktiv werden, weil ich Unterstützung aus der Bevölkerung bekam. Von Steuerberatern, die bei ihrer täglichen Arbeit feststellten, was dringend einer Änderung bedarf, von Experten der Versicherungsregulierung, die mich auf unsägliche Vertriebspraktiken der Unternehmen aufmerksam machten, von einem meiner Bekannten, der mich über die Struktur von Zertifikaten aufklärte, die vor allem den Banken satte Gewinne garantieren. Das sind Menschen, die für meine Arbeit unersetzlich sind. Sie arbeiten dafür in ihrer Freizeit – unentgeltlich und im Interesse der Sache. Wir brauchen mehr solchen Engagements.
Zur Person:
Gerhard Schick, Jahrgang 1972, grüner Politiker, gilt als einer der versiertesten Ökonomen im Bundestag. Der promovierte Volkswirt genießt nicht nur in den eigenen Reihen einen Ruf als Experte. Als Parlamentarier kämpft er leidenschaftlich auf der Seite des Bürgers. Schick ist der Grüne der Zukunft.