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Wirtschaft und Gesellschaft

»Kein anderes Land auf der Welt gibt so viel Geld dafür aus, seine Weltsicht im Westen unter die Menschen zu bringen wie China.« Bernd Ziesemer

Bernd Ziesemer hat ein Buch über Chinas ersten Lobbyisten geschrieben: Gerhard Flatow. Er präsentiert hier die spektakuläre Geschichte einer einzigartigen Persönlichkeit, in der sich zugleich eine ganze Epoche deutsch-chinesischer Beziehungen bis heute spiegelt.

Sie zeigen in Ihrem Buch »Maos deutscher Topagent. Wie China die Bundesrepublik eroberte«, dass unser China-Bild kein Zufall ist. Könnten Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen?

Bernd Ziesemer: Als 1968 deutsche Studenten mit Mao-Bibeln in der Hand durch unsere Straßen liefen, hielten das viele Beobachter für spontane Begeisterung. In Wahrheit hatte die Kommunistische Partei Chinas schon in den fünfziger Jahren damit begonnen, ihre Propagandaschriften systematisch in der Bundesrepublik zu verbreiten. Sie gab Millionen von Dollar dafür aus, um das Bild eines »neuen Chinas« durchzusetzen. Und so geht es bis heute weiter. Kein anderes Land auf der Welt gibt so viel Geld dafür aus, seine Weltsicht im Westen unter die Menschen zu bringen wie China.

 

Wie sehr und auf welch komplexe Weise, die Einflussnahme Chinas wirkt, beschreiben Sie an der Person Gerhard Flatows, Deutschlands ersten China-Lobbyist. Wie sind Sie auf Ihn gestoßen?

Bernd Ziesemer: Durch Zufall. Ich hatte den Namen in den siebziger Jahren in einer maoistischen Zeitschrift gelesen, die Gerhard Flatow als presserechtlich Verantwortlichen führte. Bei Recherchen über den großen deutschen Stahlkonzern Otto Wolff stieß ich dann auf den gleichen Namen. Und ich fragte mich: Waren der Leiter des China-Büros in diesem Großunternehmen und der Maoist vielleicht die gleiche Person? Und ich stellte schnell fest: Ja, so war es. Es dauerte aber sehr lange, bis ich dann die ganze Vorgeschichte aufrollen konnte.

 

Flatow verschlug es Anfang der 30er Jahre nach China. Was war der Grund dafür, seine einflussreiche Familie zu verlassen und seine Laufbahn als Jurist in Frankfurt aufzugeben?

Bernd Ziesemer: Er musste Deutschland 1934 aus zwei Gründen verlassen: Nach den Nazi-Gesetzen galt Flatow als »Halbjude«. Außerdem war er Mitglied eines kommunistischen Jugendverbandes und in Frankfurt nur mit Mühe und Not einer längeren Haftstrafe entgangen. Sein Jura-Studium brach er ab. Ein Bekannter seines früh verstorbenen Vaters, der für den Otto-Wolff-Konzern nach Shanghai ging, nahm ihn dann mit nach China. Dort machte Flatow schnell Karriere, verdiente viel Geld, geriet dann aber in die Welt der Geheimdienste und landete schließlich im Gefängnis der chinesischen Kommunisten. Doch statt sie zu hassen, verwandelte sich der junge Deutsche in den fünf Jahren Lagerhaft in einen überzeugten Mao-Anhänger.

 

Wie sah die Einflussnahme Flatows auf die deutsche Industrie konkret aus?

Bernd Ziesemer: 1957 gehörte Flatow nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik zu den Gründern der ersten organisierten China-Lobbygruppe, der Deutschen China-Gesellschaft. Sie half den damals weltweit isolierten Chinesen, Kontakte zur deutschen Wirtschaft zu knüpfen und ihre Interessen Schritt für Schritt auch in der Politik durchzusetzen. Zu den Pionieren des deutschen China-Geschäfts gehörte damals Otto Wolff von Amerongen, der sehr komplizierte Verhandlungen führen musste, bevor der erste Handelsvertrag mit China zustande kam. Was der deutsche Industrielle nicht wusste: Sein wichtigster Berater, der Chef seines Chinas-Büros, vertrat die Interessen der Chinesen: Gerhard Flatow. Und so ging es in den nächsten Jahren weiter: Flatow machte Geschäfte für Otto Wolff von Amerongen und gleichzeitig Politik für die Chinesen.

 

Mit ihrem Buch wird klar, dass die Netzwerke, die zu Zeiten Gerhard Flatows gesponnen wurden, noch heute tragfähig sind. Spielen dabei neben einflussreichen Geschäftsleuten auch aktive Politiker eine Rolle?

Bernd Ziesemer: Ja, unbedingt. Die KP Chinas versteht es seit Jahrzehnten, Politiker für ihre Ziele einzuspannen. Man lud sie zu üppigen Reisen nach China ein, gab ihnen das Gefühl der absoluten Wichtigkeit und bezeichnete sie als »alte Freunde«. Aber nur so lange sie nützlich waren und kein Wort der Kritik äußerten. Das galt in Deutschland zum Beispiel für den langjährigen CSU-Chef Franz Josef Strauß. Oder gilt heute für den ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. Das heutige politische Netzwerk der Chinesen reicht von ganz links (etwa der Deutschen Kommunistischen Partei DKP) bis ganz rechts (etwa der AfD).

 

Hat Ihre jahrelange (Recherche-)Arbeit am Thema China-Lobbyismus ihr Bild von China nachhaltig verändert?

Bernd Ziesemer: Ich war auch vor diesen Recherchen schon sehr kritisch zur KP Chinas eingestellt. Aber ich war selbst überrascht, wie langfristig die Chinesen die Eroberung der öffentlichen Meinung in Deutschland angegangen sind. Als Gerhard Flatow im September 1956 aus dem Gefängnis in China entlassen wurde, gab er das feste Versprechen ab, sich künftig für das kommunistische Regime einzusetzen. Bis zu seinem Tod 1980 hat er sich an sein Versprechen gehalten.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Bernd Ziesemer, Wirtschaftspublizist, arbeitet als fester Kolumnist für »Capital«, schreibt für die Zeitschrift Internationale Politik, die »Financial Times«, das »Handelsblatt«, den »Stern« und weitere Magazine. Nach seiner Korrespondentenzeit in Asien und Russland war er lange Jahre Chefredakteur des »Handelsblatts«. Seit 1982 bereiste er China regelmäßig, 1988 studierte er an der Universität Chongqing. Sein erstes China-Buch – »Auf dem Rücken des Drachen« – erschien 1989. Im Jahr 2012 veröffentlichte er »Ein Gefreiter gegen Hitler«. Auf der Suche nach meinem Vater, im Jahr 2013 »Karl Marx. Der erste Denker der Globalisierung«.

 

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09.08.2023

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