Frau Pinzler, wie blicken Sie in die Zukunft?
Petra Pinzler: Wenn ich auf die großen Trends schaue, bin ich eher entmutigt.
Denke ich an die vielen Menschen, die ich für die Recherche meines Buches getroffen habe, bin ich sehr zuversichtlich.
Wer hat Ihnen Mut gemacht?
Petra Pinzler: Die Hochschule für Gesellschaftsgestaltung aus Koblenz beispielsweise. Die trichtert jungen Leuten nicht einfach Wissen ein. Sie hilft ihnen dabei, Antworten auf die Fragen zu bekommen, die sie sich selbst stellen. Oder das Futurium in Berlin, das Menschen dazu animiert, über ihre Zukunft nachzudenken. Die und andere haben mich dazu gebracht, die Zukunft nicht als etwas zu verstehen, das einfach auf uns zukommt.
Sondern?
Petra Pinzler: Als etwas, das wir auf jeden Fall beeinflussen. Indem wir etwas tun oder auch indem wir nichts tun. Also tun wir doch besser etwas. Um Zukunft aber in unserem Sinne zu beeinflussen, müssen wir sie uns erstmal vorstellen. Das tun wir vielleicht noch im Privaten. Wir denken darüber nach, wie es uns in zehn Jahren gehen könnte. Aber die Frage, wie es dem Land gehen wird, stellen sich nur wenige Menschen. Dabei ist das sehr wichtig. Denn wir werden kein privates Bullerbü erleben, wenn es dem Land schlecht geht. In meinem Buch beschreibe ich sehr genau, wie solche Zukunfts-Imaginationen funktionieren und warum sie einem die Augen öffnen können.
Und das hat dann Folgen?
Petra Pinzler: Ja. Menschen, die nicht nur über die eigene, sondern über die gesellschaftliche Zukunft nachdenken, sind eher bereit, sich für gemeinsame Lösungen zu engagieren, und genau das brauchen wir ja in diesem Land. Menschen, die etwas tun. Für die Demokratie, die Ökologie, für mehr Gerechtigkeit.
Sie haben ein Buch über Fortschritt geschrieben. Wieso ist der wichtig?
Petra Pinzler: Moderne Gesellschaften haben immer von der Idee gelebt, dass morgen besser sein wird als heute. Das aber kann die Politik aktuell nur noch schwer versprechen, jedenfalls wenn sie Fortschritt als ein »immer mehr« an materiellem Wohlstand begreift. Allein die Ökokrise wird diese Art von Fortschritt immer unwahrscheinlicher machen. Fortschritt bedeutet doch auch, in einer gesunden Umwelt leben zu können. In einer Gesellschaft zu leben, die nicht auseinanderbricht. Sicher zu sein.
Deswegen müssen wir den Fortschritt neu erfinden und uns ein paar unangenehme Frage stellen: Wie sehr hängt mein Glück am neuen Handy, am neuen Auto, am neuen Haus? Oder andersrum gefragt: Kann es mir nicht auch gut gehen, wenn ich im Alter nicht einsam bin? Wenn ich für meine Kinder einen Platz in der Kindertagesstätte bekomme? Und wenn es auch meiner Nachbarschaft gut geht?
Die Ampel wollte eine Fortschritts-Koalition sein und ist gescheitert. Was ist Ihre Analyse?
Petra Pinzler: Christian Lindner wollte diese Regierung platzen lassen. Und trotzdem ist die Ampel nicht nur an den Liberalen gescheitert. Sondern auch Führungsstil des Kanzlers. Daran, dass er es nicht geschafft hat, aus der Summe der Einzelteile etwas Ganzes zu formen. Die Ampel konnte sich von Anfang an immer nur auf Spiegelstriche einigen und nie auf eine gemeinsame Analyse der Zukunft.
Was heißt das konkret?
Petra Pinzler: Die Welt verändert sich so schnell, dass ein Koalitionsvertrag, der gestern gemacht worden ist, heute schon nicht mehr passt. Das bedeutet, dass Regierungen, die erfolgreich sein wollen, ganz anders über die Zukunft nachdenken und sie planen müssen. Sie müssen sich gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ein paar grundsätzliche Gedanken darüber machen, wo das Land in zehn Jahren stehen soll und wie man da ungefähr hinkommt. Und dann während des Regierens immer wieder nachkorrigieren.
Und das hat die Ampel nicht gemacht?
Petra Pinzler: Nein, die Ampel hat regiert, wie es für das letzte Jahrhundert gepasst hätte, aber nicht für dieses. Unsere Gegenwart wird mehr und mehr von Krisen bestimmt und darauf muss man schnell reagieren. Das kann eine Regierung nur, wenn sie sich anfangs auf ein paar Grundsätze geeinigt hat. Nehmen wir mal den Klimawandel: Wenn eine Regierung sich Klimaziele setzt, wie es die Ampel getan hat, dann muss sie einmal realistisch darüber nachdenken, was das bedeutet. Es bedeutet beispielsweise massive Investitionen in die Infrastruktur. Die sind nur möglich, wenn man anderswo massiv spart oder sich vorübergehend mehr verschuldet. Diese Entscheidung hat die Ampel nie getroffen und deswegen hat sie sich permanent über die Schuldenbremse und den Haushalt gestritten. Ein Streit, der durch die Ausgaben für die Ukraine noch verstärkt wurde.
Haben Sie zum Schluss noch einen Rat für Ihre Leser?
Petra Pinzler: Ich bin jetzt seit über einem Jahrzehnt Korrespondentin in Berlin. Die meisten Veränderungen, die ich erlebt habe, sind nicht im Regierungsapparat entstanden, sondern im Land. Haben es nur irgendwann nach Berlin geschafft. Unterschätzen Sie also nicht, welche Wirkungen es haben kann, wenn Sie in Ihrem Dorf oder Ihrer Nachbarschaft, im Unternehmen, in Ihrer NGO oder im Verein etwas starten. Es kann das Land verändern und die Zukunft ein bisschen besser machen.
Danke Ihnen für das Gespräch.
Petra Pinzler arbeitet als Hauptstadtkorrespondentin der Wochenzeitung DIE ZEIT. Sie schreibt zudem Bücher über Wirtschaft, Umwelt und Klimaschutz und die Frage, was die Gesellschaft gut und Menschen zufrieden macht. Nach einem Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaften besuchte sie die Kölner Journalistenschule. 1994 begann sie bei der ZEIT, für die sie von 1998 bis 2001 als Korrespondentin aus Washington berichtete, bis 2007 aus Brüssel und seither aus Berlin.