Der Islam ist in Deutschland angekommen. Gleichzeitig wird er stets auch kritisch beäugt oder sogar feindselig betrachtet. Würden Sie hierzulande aktuell von einer wachsenden Islamophobie sprechen?
Susanne Schröter: Ob islamfeindliche Einstellungen zunehmen oder nur lauter vorgetragen werden, kann man nicht verlässlich sagen. Gewiss ist, dass die AfD sich als Sprachrohr all derjenigen in Stellung bringt, die Vorurteile gegenüber Muslimen haben. In der Konsequenz wird diese islamfeindliche Stimme in Zukunft stärker wahrgenommen werden. Deutschland zieht damit im europäischen Vergleich nach. Frankreich, die Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen haben längst dezidiert antimuslimische Parteien, und in anderen Ländern existieren politische Bewegungen, die sich gegen Muslime richten.
Sie bieten mit Ihrem Buch »Gott näher als der eigenen Halsschlagader« einen Einblick in ein Universum, das der Öffentlichkeit nicht ohne weiteres zugänglich ist. Was war Ihre größte Erkenntnis aus dem Blick, der Ihnen im Rahmen Ihrer Forschung gewährt wurde?
Susanne Schröter: Wichtig war die Erkenntnis, dass auch die frommen Muslime sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind, dass sie individuelle Wege suchen und finden, um mit den Herausforderungen der säkularen Gesellschaft umzugehen und dass sie implizit viele Konflikte zwischen ihrer Religion und ihren Bedürfnissen ausbalancieren müssen. Beispielsweise wünschten sich viele meiner Gesprächspartnerinnen, dass ihre Ehemänner sie bei der Hausarbeit unterstützten, sahen sich aber mit einem durch Religion und Tradition begründeten Patriarchalismus konfrontiert. Einige versuchten in dieser Situation den Propheten Mohammed als vorbildlichen Ehemann zu stilisieren, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Überraschend war auch, dass etliche Frauen das Kopftuch gegen ihre Ehemänner durchsetzen mussten, die lieber eine »moderne« unverschleierte Frau gehabt hätten.
Trotz der großen individuellen Vielfältigkeit gab es in den Moscheegemeinschaften aber auch viel Verbindendes beziehungsweise in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft Trennendes. Die Moscheen machen Angebote für Mitglieder jeglichen Alters und verhinderten so auch, dass sich Kinder, Jugendliche oder Frauen in ihrer Freizeit mit Nichtmuslimen beschäftigten.
Sie plädieren für die genaue Unterscheidung zwischen dem politischen Islam und dem Islam als Religion. Warum ist diese so entscheidend?
Susanne Schröter: Der politische Islam ist tendenziell antidemokratisch und totalitär und strebt eine islamische Herrschaftsordnung mit islamischem Recht an. Das widerspricht unserer Verfassung sowie unseren Werten und unserem Lebensstil fundamental. Der Islam als Religion kann politisiert beziehungsweise für politische Interessen funktionalisiert werden- wie im übrigen auch das Christentum, Judentum, der Hinduismus und Buddhismus – ist aber in erster Linie eine Religion, das heißt ein Weg, der Gläubigen ermöglicht Gott nahe zu sein.
In Ihrem Buch kann man viel Konkretes über den gelebten Islam erfahren. Fehlt es uns generell an Wissen über die Religion, um einen selbstbewussten Umgang mit ihr zu pflegen?
Susanne Schröter: Uns fehlt einerseits grundständiges Wissen über den Islam, seine Geschichte und seine unterschiedlichen Facetten, andererseits aber auch Kenntnisse über das Leben der Muslime in Deutschland, ihre Formen Religion zu praktizieren und sich in einer nichtmuslimischen Umwelt zurechtzufinden. Ich hoffe, dass mein Buch einen kleinen Beitrag zur Vermehrung dieses Wissens darstellt.
Zur Autorin
Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktorin des dortigen Forschungszentrums Globaler Islam. Für ihr Buch hat sie von 2011 bis 2015 in Wiesbaden mit 130 Muslimen sowie mit Verantwortlichen aus Politik, Schulen, Jugendarbeit, Kirchen, Polizei und Verwaltung gesprochen.
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