Jule und Lukas, Ist es nicht eigentlich ein Widerspruch, Unternehmen als aktivistisch zu bezeichnen? Schließlich ist es ja insbesondere die Wirtschaft, die von vielen Aktivist*innen heute für ihre zerstörerische Kraft kritisiert wird.
Jule: Und zwar zurecht! Der allergrößte Teil der Wertschöpfung von Unternehmen, die heute stattfindet, zerstört eigentlich Wert dadurch, dass Ressourcen entnommen werden, ohne sie zu regenerieren oder damit, dass schädliche Stoffe entstehen, die Natur verschmutzen, unsere Atmosphäre verseuchen und so weiter. Die Transformationsfoscherin Maja Göpel nennt diese Form des Wirtschaftens passenderweise »Schadschöpfung«. Folglich ist es genau richtig, dass so viel Kritik stattfindet, gesellschaftlicher und hoffentlich auch bald politischer und regulatorischer Druck ausgeübt wird, solche Praktiken zu unterlassen. Wenn man die Sache zu Ende denkt, ist das sogar alles andere als wirtschaftliches Denken, denn was bringt es einem Unternehmen langfristig, wenn die Grundlagen der eigenen Wertschöpfung - Natur und funktionierende soziale Gefüge - kaputt oder sogar weg sind?
Lukas: Genau dieser Art des Wirtschaftens wird aber heute an immer mehr Stellen der Wirtschaft eine Alternative gegenübergestellt. Unternehmen, wie wir sie im Buch beschreiben, funktionieren daher fundamental anders. Sie machen die Lösung echter Probleme - also »Real World Problems« im Unterschied zu den sogenannten »First World Problems« - zur Grundlage ihres Geschäftsmodells. Sie streben also durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit eine gesellschaftliche Veränderung an, beheben, wenn sie erfolgreich sind, Fehler im System wie wir es heute kennen. Und genau das meinen wir mit Unternehmensaktivismus.
Warum müssen Unternehmen heute aktivistisch sein?
Lukas: Die multiplen Krisen, vor denen wir heute stehen, können nicht allein durch individuelle Verhaltensänderungen vom Tisch gefegt werden, denn bis wir uns alle - und zwar global! - entsprechend vernünftig umgepolt hätten, wäre es wahrscheinlich schon zu spät. Unternehmen können also Katalysatoren sein, um die Entwicklung zu beschleunigen, Menschen mitzunehmen in eine Vision des für alle und den Planeten besseren Lebens. Und gleichzeitig der Politik zu zeigen: schaut mal her, radikale Veränderung bedeutet eben gerade nicht weniger Wirtschaftskraft, weniger Arbeitsplätze und so weiter, sondern, mit dem richtigen Mindset sogar mehr. Es geht!
Jule: Gleichzeitig sehen wir, dass sich beim Thema Nachhaltigkeit für Unternehmen natürlich immer häufiger auch eine Existenzfrage stellt. Genau so, wie viele Unternehmen vor einigen Jahren die Digitalisierung verschlafen haben, droht dieses Szenario jetzt wieder. Wer damit zu spät ist, bekommt keine guten Leute mehr, ist nicht in der Lage für Kund*innen wertvolle Angebote zu machen. Nicht zuletzt, kann die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Innovation Unternehmen zukunftsfähig machen, während die, die zu lange warten, vor allem von der sehr wahrscheinlichen Regulierung getroffen werden und schließlich hohe Kosten für die Umstellung tragen müssen - wenn es sie denn dann überhaupt noch gibt.
Was bedeutet das für etablierte Unternehmen?
Lukas: Sie tun gut daran, die eigene Nachhaltigkeits-Transformation so früh wie möglich anzustoßen. Dafür bräuchte es noch nicht einmal ideelle Überzeugung, allein eine nüchterne Betrachtung der ökonomischen Gegebenheiten, legt eine solches Umdenken nahe.
Jule: Genau das ist ja das spannende an dieser Veränderung, die wir in der Wirtschaft gerade beobachten können! Ökonomie und Ökologie waren eigentlich schon immer eins, allerdings haben wir das lange ignoriert - mit den allseits bekannten Folgen. Doch so, wie sich die Dinge gerade entwickeln, wachsen sie auch in der Praxis wieder untrennbar zusammen. Einer unserer Interviewpartner, Jürg Knoll der Gründer von followfood meint dazu: »In Zukunft wird niemand mehr Produkte kaufen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören.« Genauso wird es kommen. Und zwar weil wir als Mitarbeiter*innen und Kund*innen das einerseits nicht wollen und es andererseits nicht mehr möglich sein wird, auf diese Weise wirtschaftlich tragfähige Unternehmen zu bauen. Erfolgreiche Unternehmer*innen von morgen engagieren sich also entgegen der Annahme, dass »die Wirtschaft die Bösen sind« - sie sind Aktivist*innen für eine lebenswerte Zukunft.
Lukas: ...und da sind wir dann wieder bei den vermeintlich rein ökonomischen Überlegungen und diesem Zusammenhang. Ohne funktionierende Ökosysteme, keine funktionierende Gesellschaft. Und ohne diese wiederum kein funktionierender Markt, kein funktionierendes Umfeld für unternehmerisches Wirken.
Ich danke euch für das Gespräch!
Jule Bosch geht als Zukunftsforscherin weit über die reine Analyse von Megatrends hinaus. Ihr Motto: Zukunft wird nicht vorhergesehen, Zukunft wird gemacht. Lukas Y. Bosch bringt als Unternehmensberater, Coach und Speaker für Innovation und Transformation neuen Wind in alte Geschäftsmodelle und Denkmuster. Als Co-Gründer von HOLYCRAB! – einem Start-up, dass das Problem invasiver Arten dadurch löst, indem man sie aufisst – zeigen sie, wie die Umsetzung der Buchinhalte in der Praxis gelingt.