Ihr Buch trägt den Titel »Food Mafia«. – Damit meinen Sie aber nicht die klassischen Mechanismen der organisierten Kriminalität, oder?
Das ist Definitionssache. Die italienischen traditionellen Mafiaorganisationen wie ’Ndrangheta, Camorra oder Cosa Nostra handeln gegen die bestehenden gesetzlichen Normen und somit illegal, verfügen aber über eigene ethische Regeln. Es gibt dort, außerhalb unserer Gesetze, so etwas wie Moralvorstellungen. In weiten Teilen der Lebensmittelindustrie sehen wir indes lediglich die reine Profitgier, bar jedweder Ethik, ohne Achtung vor jeglichem Leben. Daher haben wir den Begriff »Food Mafia« eigens für diese Klientel erschaffen – sie erscheint uns schlimmer als die klassische, organisierte Kriminalität.
Die deutsche Ernährungsindustrie ist mit einem Umsatz von gut 175 Milliarden Euro (2013) der viertgrößte deutsche Gewerbezweig nach Automobilindustrie, Maschinenbau und chemischer Industrie. Ist bei so viel Umsatz überhaupt noch ausreichend Platz für Ethik oder gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein?
Verantwortungsbewusstsein ist keine Frage des Umsatzes. Es ist eine Frage der Einstellung. Wenn Unternehmen wie Monsanto Landwirte durch den Vertrieb ihres Gentechsaatguts in die totale Abhängigkeit drängen, hat das mit dem Umsatz nichts zu tun. Wenn Raiffeisen Landwirte in ähnliche Abhängigkeitsverhältnisse manövriert, ist es ebenfalls keine Frage des Volumens. Es ist eine Frage der Gier vieler Konzerne, die von willigen Politikern durch entsprechende Gesetze genährt wird.
Den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern ist indes nicht klar, dass sie zu Versuchskaninchen der Lebensmittelindustrie geworden sind. Im Bereich Nanofood etwa wird das Leben Ungeborener im Mutterleib gefährdet – trotzdem gibt es weder wirksame Gesetze noch Verbote gegen diese profitträchtigen Lebensmittel.
Wir fragen uns ganz ernsthaft: Wo bleibt der Ethikrat? Und warum reagiert die Bundesregierung nicht auf die wissenschaftlich soliden Studien, die Nanofood als Risiko für den Menschen outen?
Ein altbekanntes, aber offenbar schlagkräftiges Bild: Weltweit hungern 842 Millionen Menschen und mehr als 900 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dennoch landet ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel auf dem Müll – rund 1,3 Milliarden Tonnen. Ist das moralisch hinnehmbar?
Sie stellen eine rhetorische Frage. Wir sollten uns fragen, wie Lebensmittel und Ressourcen generell besser verteilt werden können – und warum das nicht gemacht wird. Im Buch zeigen wir anhand vieler Beispiele auf, wie nur wenige globale Konzerne die Nahrungsmittelversorgung kontrollieren – und über ihr Geld, um den ehemaligen Außenminister Henry Kissinger zu zitieren, auch die Welt.
47 Prozent der allein in Deutschland elf Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel wären vermeidbar, weil das Essen schlichtweg noch »gut« ist. Wie kann man diesen Lebensmittelmüllberg verhindern?
Weniger einkaufen, weniger Konsum. Das ist alles reine Kopfsache. Es ist doch so: Wenn Sie im Supermarkt Käse kaufen wollen, stehen sie vor Regalen mit unzähligen Produkten – doch am Ende schmecken die alle irgendwie immer gleich. Weniger wäre in diesem Falle mehr.
Wie wahrscheinlich ist eigentlich, dass in meiner Tiefkühllasagne Pferdefleisch ist oder in meinen Lebensmitteln Antibiotika aus der Massentierhaltung landen?
Wenn das jemand beantworten könnte! Wir haben in Deutschland so gut wie keine flächendeckende und vor allem funktionierende Lebensmittelkontrolle. Es gibt zu wenig Überwacher – also ist die Wahrscheinlichkeit, etwas über die Nahrung aufzunehmen, was nicht hineingehört, extrem hoch. Denn wie wir bereits sagten: Ethik und Moral kennen sehr viele Akteure der Lebensmittelindustrie nur aus Büchern oder Filmen.
Aktueller Anlass: das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. – Was steht uns hier in puncto Lebensmittelstandards bevor?
TTIP und CETA, die kanadische Variante des US-Freihandelsabkommens, gefährdet schlichtweg die Unabhängigkeit der Verbraucher. Konzerne werden in der Lage sein, gegen Staaten zu klagen, sobald Konzerninteressen tangiert sind. Wir beleuchten im Buch ausführlich, wie unser tägliches Leben davon betroffen sein wird. An dieser Stelle würden wir gern alle Menschen aufrufen, sich den großen Organisationen anzuschließen, die gegen TTIP und CETA vorgehen. Ob BUND oder CAMPACT, ob ATTAC oder Greenpeace, das spielt keine Rolle. Hauptsache, Angela Merkel bekommt mit, dass ihr Wahlvolk nicht zum Monsanto-Spielball avancieren möchte.
In Ihrem Buch machen Sie deutlich, dass der Verbraucher der Food Mafia nicht hilflos ausgeliefert ist. Bitte geben Sie uns drei konkrete Tipps, wie man den Markt im positiven Sinne beeinflussen kann.
Es geht nicht darum, Verbraucher zum ethischen Marktkorrektiv umzufunktionieren, das zu sein ist Sache der Politik. Es geht darum, sich gegen die skrupellosen Machenschaften einer Branche zu wehren, für die Leben – ob Mensch oder Tier – nur eine monetäre Maßzahl ist. Was können wir also tun?
Die Kaufentscheidung ist ein effektives, aber mittlerweile leider auch teilweise wirkungsloses Instrument. Wenn ich nur zwischen Nestlé, Unilever und Südzucker wählen kann, weil Handelsketten lediglich die Big Player im Programm haben, ist das wenig effektiv. Daher sollte man mehr auf regionale Produzenten setzen, diese auch vor Ort besuchen und jene wählen, die wirklich nach ethischen Regeln produzieren.
Manche Produkte sollte man ganz boykottieren und auf jeden Fall wäre es gut, jene Organisationen zu unterstützen, die auch juristisch gegen die Food Mafia vorgehen.
Die Autoren
Marita Vollborn ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften / Nanobiotech. Sie betreibt gemeinsam mit Vlad Georgescu die Website Lifegen (autoren/marita_vollborn-2093.html#www.lifegen.de), die tagesaktuelle Meldungen auch zur Nanobiotechnologie bringt.
Der Chemiker Vlad D. Georgescu beschäftigte sich mit Nachweisverfahren und -grenzen der wichtigsten Schadstoffe und Belastungssubstanzen. Zusammen mit Marita Vollborn betreibt er die Webiste lifegen.de und arbeitet als freier Wissenschafts- und Medizinjournalist.
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