Was sind die zentralen Auswirkungen von Schubladendenken in Unternehmen?
Annahita Esmailzadeh: Vorurteile gehen in der Arbeitswelt mit einer breiten Palette von schädlichen Auswirkungen einher. Sie sorgen dafür, dass Menschen Jobs gar nicht erst bekommen, ungerechtfertigte Leistungsbewertungen erhalten oder nicht entsprechend ihrer Fähigkeiten, ihres Potenzials sowie ihrer Leistungen gefördert und befördert werden. Vorurteile haben zur Folge, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortungsvolle Aufgaben oder Projekte nicht erhalten, bei Gehaltsanpassungen übergangen oder bei Weiterbildungen benachteiligt werden. Betroffene können auf diese Weise nicht ihr ganzes Potenzial ausschöpfen. Sie resignieren und kündigen innerlich oder entscheiden sich sogar dazu, ihrem Arbeitgeber den Rücken zu kehren. Von den seelischen Narben, die derartige Diskriminierungserfahrungen bei Betroffenen hinterlassen können, mal ganz zu schweigen.
Doch Vorurteile sind nicht nur für Betroffene verheerend, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht für Unternehmen schädlich. Arbeitgeber verlieren die Chance auf qualifizierte Talente, wenn Menschen aufgrund von Voreingenommenheit bereits im Bewerbungsprozess aus dem Raster fallen oder das Unternehmen aufgrund von Diskriminierung im Arbeitsumfeld verlassen.
Wieso halten sich Klischees, wie das der Quotenfrau, des alten weißen Mannes, der Marketingtussi, des Computernerds dennoch so hartnäckig?
Annahita Esmailzadeh: Will man verstehen, wieso wir Menschen so gern in diesen Schubladen denken, muss man eine kleine Zeitreise in die Steinzeit machen. Denn wenn unseren Vorfahren damals ein Säbelzahntiger über den Weg lief, überprüften sie im Regelfall nicht zuerst, ob sie es mit einem menschenfreundlichen Exemplar der Gattung zu tun hatten. Nein, sie ergriffen beim Anblick der 20 Zentimeter langen Eckzähne hoffentlich sofort die Flucht und rannten so schnell sie konnten um ihr Leben. Diejenigen, die auf die Nettigkeit der Raubkatze vertrauten, überlebten diese Begegnung meistens nicht. In der Steinzeit waren unsere Vorurteile damit überlebensnotwendig.
Heutzutage ist unser Überleben glücklicherweise nicht mehr an die erfolgreiche Flucht vor Säbelzahntigern geknüpft. Dennoch arbeitet unser Gehirn auch heute noch mit Schubladen, um Situationen oder auch Menschen, die gefährlich werden könnten, schnell einzuordnen und blitzschnelle Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen.
Was ist Deine Vision – wie geht eine innovative Arbeitswelt von morgen mit Diversität um?
Annahita Esmailzadeh: Wenn ähnliche Menschen zusammenarbeiten, ähneln sich auch die Sicht- und Arbeitsweisen. Damit ist die Wahrscheinlichkeit höher, relevante Trends, Entwicklungen und Chancen oder auch bestehende Defizite und Schwächen zu übersehen. In der Folge sinkt die Innovationskraft eines Unternehmens stetig. Werden Vorurteile in Unternehmen nicht hinterfragt und dienen fortlaufend als Basis für Personalentscheidungen, resultiert dies nicht nur in fehlender Vielfalt innerhalb der Belegschaft sowie einer nicht inklusiven Unternehmenskultur, sondern auch in nachlassender Zukunftsfähigkeit, einer weniger attraktiven Arbeitgebermarke und damit auch im Verlust wertvoller Talente. Zukunftsfähige Unternehmen setzen sich daher proaktiv für eine vielfältige Arbeitswelt ein und treffen die notwendigen Maßnahmen, um eine inklusive Kultur zu schaffen.
Im Buch finden sich zahlreiche Comics von Schlorian, der das Thema wunderbar illustriert. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Annahita Esmailzadeh: Ich bin zufällig im Netz auf eine Illustration von Schlorian gestoßen und war begeistert. Daraufhin habe ich ihn kontaktiert, ihm von meinem anstehenden Buchprojekt erzählt und gehofft, dass er Lust auf eine Zusammenarbeit hat. Ich war sehr glücklich als er zugesagt hat. Die Illustrationen haben meine ohnehin schon hohen Erwartungen nochmals weit übertroffen.
Wem möchtest Du Dein Buch auf jeden Fall zum Lesen geben?
Annahita Esmailzadeh: Mein Buch sollten vor allem ebenjene Menschen lesen, die denken, dass sie eine Auseinandersetzung mit ihren eigenen Vorurteilen gar nicht brauchen. Will man Vorurteile aktiv bekämpfen, ist nämlich eines unerlässlich: Wir müssen akzeptieren, dass wir sie überhaupt haben. Wir alle sind nicht vor unbewusster Voreingenommenheit und Schubladendenken gefeit. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, sind wir in der Lage, unsere eigenen Schubladen stetig offen zu halten, zu reflektieren und regelmäßig auszumisten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Annahita Esmailzadeh ist seit 2021 Führungskraft bei Microsoft. Zuvor verantwortete sie bei SAP als Head of Innovation den Innovationsbereich für das SAP Labs in München. Die mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftsinformatikerin und Bestsellerautorin gehört zu den bekanntesten und reichweitenstärksten Business-Influencerinnen und Keynote-Speakerinnen im DACH-Raum. Ihre Reichweite in den Medien und auf sozialen Netzwerken setzt sie für mehr Diversität und Inklusion sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Arbeitswelt ein.
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