Ihr neues Buch »Jura not alone« trägt den Untertitel »12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern«. Wem möchten Sie mit Ihrem Buch vor allem Mut machen?
Ronen Steinke: Allen, die auf eine gerechtere, inklusivere Welt hinarbeiten! Und allen, die sich von Jura normalerweise abgeschreckt fühlen. Denn Recht ist ein wichtiges Mittel, um gesellschaftliche Verhältnisse zum Besseren zu verändern. Zum Beispiel, wenn durch eine Gesetzesreform Diskriminierung abgeschafft wird. Oder wenn ein Gericht einschreitet, weil die Politik eine Ungerechtigkeit einfach ignoriert. Dafür muss man natürlich wissen, wie das geht – wir wollen deswegen dazu einladen, sich das Recht selbst anzueignen und es nicht einfach den anderen zu überlassen.
Sie schreiben »Recht ist politisch. Immer. Recht ist geronnene Politik, aber es ist veränderbar, verbesserbar. Manchmal sogar dringend veränderungsbedürftig.« An welchen Punkten wird das für Bürger:innen am deutlichsten spürbar?
Nora Markard: Recht ist überall. Man merkt das natürlich meist erst, wenn etwas schief geht – wenn einem das Recht im Weg steht, oder wenn es verletzt wird. Wenn eine Frau beispielsweise ein Kind bekommt und die Person, mit der sie verheiratet ist, dieses Kind wie ein fremdes Kind adoptieren muss, dann ist der Grund dafür eine politische Entscheidung. Denn als die »Ehe für alle« eingeführt wurde, wurde das Abstammungsrecht nicht mit reformiert. Deshalb werden Ehemänner automatisch Väter, Ehefrauen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aber nicht.
Sie zeigen, an verschiedenen Rechtsgebieten, wie das Recht vom Herrschaftsinstrument zu einem Mittel der Befreiung von Herrschaft werden kann. Also ein Instrument, mit dessen Hilfe man auch Verbesserungen erkämpfen kann. Haben wir als Bürger oft noch zu viel Ehrfurcht vor dem Recht als etwas Statischem, Unveränderbaren?
Ronen Steinke: Ja, schon. Das Recht ist ja auch wirklich nicht sehr zugänglich. Allein die Sprache schon! In Gesetzen wimmelt es von Fachausdrücken, vieles versteht man nur mit Vorwissen. Die meisten Menschen fühlen sich dem Recht vermutlich einfach ausgeliefert, ohnmächtig. Sie fragen zur Not eine Anwältin oder einen Anwalt – wenn sie sich das denn leisten können. Aber dass man das Recht auch nutzen kann, um aktiv etwas zu verändern, das ist wichtig zu wissen. Denn in einer Demokratie gehört das Recht uns allen!
Ein Kapitel, das viele derzeit interessieren wird ist: »DEMOKRATIE – Wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts?« - Haben wir die passenden Gesetze, um unsere Demokratie zu schützen oder ist unsere Demokratie in Gefahr?
Nora Markard: Wir haben nach 1945 im Grundgesetz tatsächlich viele Vorkehrungen getroffen, um unsere Demokratie zu schützen. Aus gutem Grund, denn wer einmal an der Macht ist, kann ein System relativ schnell umbauen. Das haben wir ja in den vergangenen Jahren nebenan in Polen und Ungarn gesehen. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Das Recht allein wird die Demokratie nicht retten. »Demokratie braucht Demokraten«, soll Friedrich Ebert mal gesagt haben. Bei den anstehenden Wahlen ist es also sehr wichtig, sich aktiv gegen die zu stellen, die Demokratie, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit abschaffen wollen.
»Jura not alone« – das klingt fast zärtlich. Das Bild der Rechtswissenschaft ist indes oft kühl, unemotional, abstrakt. Wollen Sie mit dem Buch den Blick auf das Recht verändern?
Ronen Steinke: Ja, unbedingt! Wir wollen das Recht zugänglich machen, wollen nah rangehen und zeigen, das sind oft ganz normale Leute, die was verändern. Damit wollen wir Mut machen und Lust darauf, mitzumachen. Denn es gibt in dem Bereich mehr engagierte Menschen, als man von außen vielleicht glaubt – und es gibt sehr viele Möglichkeiten, von ihnen zu lernen, sich zusammenzutun und zu erleben, dass man nicht alleine ist.