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Zurück in die Zukunft – jenseits von Change Management

Wenn von Change Management die Rede ist, ist es meist schon zu spät. Neuere Ansätze stellen die Gestaltung des organisationalen Wandels vom Kopf auf die Füße: als ständiges Ausprobieren der eigenen Zukunft anstelle nachholender Anpassungen aus einer Position der Defensive.

»Es ist schlimm genug«, lässt Goethe eine Hauptfigur in den 1809 erschienenen »Wahlverwandtschaften« ausrufen, »dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsre Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.«Goethes noch immer aktuelle Beobachtung war typisch für seine Zeit, die den Übergang zur Moderne markiert – mit der allseits wahrgenommenen Beschleunigung hin zu einem mehr oder weniger abstrakten Fortschritt. Konstanter Wandel ist seitdem kein neues Phänomen mehr.

Change Management als nachholende Korrektur

So ist es fast erstaunlich, dass die Gestaltung von organisationalem Wandel unter dem Titel »Change Management« erst im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts in den Kanon der Managementwerkzeuge aufstieg. Nicht zufällig geschah dies in Begleitung der Krise der 1970er und der zunehmenden, in jenen Jahren erstmals auch so bezeichneten Globalisierung, die viele der im Nachkriegsboom gewachsenen Großkonzerne auf den Prüfstand stellte.

Es mag auch an dieser Geburtskonstellation liegen, dass sich das Change Management im Kern bis heute nicht gewandelt hat. Zwei Bedeutungen stehen im Vordergrund: Erstens ist Change Management meist reaktiv. Der organisationale Wandel, um den es jeweils geht, wird als nachgelagerte Aufgabe verstanden, die einen (oft durch externe Einflüsse legitimierten und von der Führungsspitze entsprechend verordneten) Strategiewechsel begleitet.

Zweitens wird im Zuge von Change Management behauptet, man kenne den Endzustand – es zielt auf eine klar definierte Zukunft. Change Management ist also bloßes Vehikel zur Umsetzung auf dem Weg zu einem behaupteten Ziel. Dem entspricht die häufig zu beobachtende Praxis, dass Change-Management-Projekte als flankierende Maßnahmen umfangreicherer Strategiearbeit daherkommen und dementsprechend als solche nur untergeordnete Aufmerksamkeit im Management genießen.

Es gehört fast schon zur Folklore des Managementdiskurses, dass Change-Management-Initiativen häufig scheitern. Je nach Kriterien und Grundgesamtheit schwanken die Zahlen – doch kaum eine Schätzung geht von weniger als 60 Prozent gescheiterten Initiativen aus.typo3/ Change Management gleicht so einem Rettungsschirm, der sich in etwa zwei Dritteln der Fälle gar nicht öffnet. Die Reaktion kommt oft zu spät, die postulierte Zukunft stellt sich nie ein.

Organisationalen Wandel vom Kopf auf die Füße stellen

Angesichts solcher Zahlen liegt es nahe, organisationalen Wandel neu zu denken. Wenn der Wandel erst unvermeidbar und sein Ziel vermeintlich klar ist, ist es schon zu spät. Stattdessen gilt es, die Wandlungsfähigkeit der Organisation als Ausgangspunkt zu verstehen, aus welchem sich dann die strategische Erneuerung ergibt. Eine Subdisziplin des Change Managements unter dem Schlagwort emergent change approach geht in diese Richtung – läuft in seinen Maximen aber häufig selbst auf reaktive Managementmuster hinaus.

Blickt man über die Change-Literatur im engeren Sinne hinaus, so bieten die in ihren Methoden und Theorien notorisch offenen organization studies verschiedene Ansätze, die Wandlungsfähigkeit von Organisationen zu fördern. So werden unter dem Label der Management Innovation Ansätze diskutiert, die auf Erneuerungspotenziale im Bereich der Produkte oder Dienstleistungen von Unternehmen nicht nur verweisen, sondern diese in den Managementprozessen selbst oder, anders gesagt, in der Organisation suchen. Mit dem Paradigma des Organizational Learning wird danach gefragt, wie Organisationen lernen. Mit anderen Worten: Wie sie aus ihren Erfahrungen und durch Kontexte Wissen gewinnen, das der eigenen Veränderung zugutekommt (was nebenbei bemerkt weit über klassische Corporate Universities und firmeninterne Trainings, die vordefinierte Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln versuchen, hinausgeht).

 Zurück in die Zukunft – Ansätze für die Managementpraxis

Was also tun? Wenn die Antwort auch immer kontextabhängig ist, so gibt es doch einige bewährte Ansätze, die sich vielfältig adaptieren lassen. Ihnen gemeinsam ist: Sie setzen in der Organisation an und beschränken sich keineswegs auf den eng verstandenen Strategieprozess (oder suchen gar ihr Heil in einer genialischen, »transformationalen« Führungspersönlichkeit). Es handelt sich vielmehr um ein strategic organizing.

Erstens fällt es Organisationen typischerweise schwer, sich ihre eigene Zukunft vorzustellen. Was könnte ein nächstes Produkt, eine innovative Dienstleistung, ein neuer Markt sein? Strategische Analysen und Planungen mögen Antworten liefern (deren Umsetzung sich dann durchaus mit Change Management unterstützen lässt). Vielversprechender ist es jedoch, diese Zukünfte auszuprobieren, etwa in Form kleinerer, überschaubarer Experimente, die – in einer Evolutionssemantik gesprochen – die Variation der Organisation erhöhen. Im Ansatz des Design Thinking wird so etwa ein möglichst frühes, rapid prototyping empfohlen, um einen Lösungsvorschlag schnell handhabbar zu machen.

Um diese Variationen zu ermöglichen, braucht es, zweitens, das richtige Maß an Strukturvorgaben. Zwischen der Skylla eines chaotisch-zielvergessenen Haufens und der Charybdis* einer streng durchdesignten Organisationsmaschine gilt es, eine Organisationsweise zu finden, die formelle und informelle Elemente verbindet und in der evolutionäre Mechanismen wirken können. Informell ist es etwa die Verpflichtung auf geteilte Prinzipien und interne, interfunktionale Netzwerke, die eine starke Organisationskultur unterstützen. Formell sind es meist klare Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege, die eine Voraussetzung für produktive Spannungen und zielorientiertes Handeln darstellen. Ziel ist es, einen Modus zu finden, der den Endzustand nicht determiniert und der es der Organisation ohne die Selbstbeschränkung in harten, detaillierten Vorgaben erlaubt, ihre Routinen, Praktiken und individuellen Verhaltensweisen einzuspielen und dabei innovativ zu sein.

Drittens schließlich gilt es, eine Geschichte der Organisation zu erzählen, die ein Sinnangebot an die Mitarbeiter macht und die Vergangenheit der Organisation mit ihrer Gegenwart und ihrer möglichen Zukunft verknüpft. Das ständig geforderte Neulernen und der eigenmächtig betriebene Wandel werden so zu einer Routine eigener Art, in welcher sich der schrittweise Abschied vom Gegebenen nicht mehr unter der Drohung einer mit hoher Wahrscheinlichkeit scheiternden Change-Initiative vollzieht.

 

*Skylla und Charybdis sind Meerungeheuer aus der griechischen Mythologie, die nach der Odyssee auf zwei gegenüberliegenden Felsen einer Meerenge hausen. Odysseus verlor bei der Durchfahrt sechs Mann, die von der sechsköpfigen Skylla gefressen wurden.

Zur Person:

Dr. Olaf Bach ist Dozent für Organisationsentwicklung an der School of Humanities and Social Sciences der Hochschule St. Gallen (HSG)und Gastprofessor für Wirtschaftswissenschaften im Fachgebiet Theorie und Geschichte an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. Im Campus Verlag von ihm erschienen ist: »Die Erfindung der Globalisierung. Entstehung und Wandel eines zeitgeschichtlichen Grundbegriffs«. In seinem Gastbeitrag schreibt Olaf Bach zum Thema Change Management. Einem Thema, zu dem im Campus Verlag zahlreiche spannende Titel erschienen sind:

 

 


29.10.2013

Wissenschaft

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