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Wirtschaft und Gesellschaft

»Wir erleben gerade das Ende des freien Internets.« Martin Andree

Martin Andree hat mit »Big Tech muss weg« das Manifest zur Befreiung des Internets geschrieben. Seine Studien zeigen: Wenn wir uns nicht gemeinsam gegen die Übermacht der Digitalkonzerne stellen, sind unsere Wirtschaft und Demokratie in Gefahr.

Sie haben mit »Big Tech muss weg!« ein Manifest zur Befreiung des Internets geschrieben. Von wem muss das Internet befreit werden?

Martin Andree: Eine Handvoll US-Konzerne beherrscht einen Großteil des digitalen Traffics. Das Internet war früher einmal eine offene, pluralistische Struktur – aber die ist von den Digitalkonzernen gekapert worden, die durch verschiedene Tricks den Traffic in die Silos ihrer Plattformen hochgesaugt haben. Deswegen erleben wir gerade das Ende des freien Internets. 

 

Welches Szenario steht uns konkret bevor?

Martin Andree: Weil in Zukunft die politische Öffentlichkeit auf den digitalen Plattformen stattfindet, besitzen die Plattformen dann auch die Kontrolle über unsere Demokratie. Und das wird jetzt schnell gehen – voraussichtlich bis Ende dieses Jahrzehnts.

 

Die Zeichen stehen schlecht, das belegen Sie in Ihrem Buch. Gibt es dennoch eine Rettung, und was müssten wir dafür tun?

Martin Andree: Besonders ärgerlich ist, dass wir dieses Problem in wenigen Monaten lösen könnten, wenn wir es wirklich wollten. Wir müssten lediglich die digitalen Märkte öffnen und dafür sorgen, dass auch andere Anbieter neben den Plattformen eine Chance haben, an Traffic zu gelangen. Solange wir die jetzige Privilegierung der Plattformen weiter aufrechterhalten und keinen Wettbewerb herstellen, wird sich nichts ändern.

 

Ihnen ist es wichtig zu vermitteln, dass alle von der Monopolisierung betroffen sind – Arme und Reiche, Linke und Liberale – können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Martin Andree: Klar. Ich wurde tatsächlich zunächst aus einer wirtschaftlichen Perspektive auf das Problem aufmerksam. Ich habe schon 2011 auf der »dmexco« Zahlen präsentiert, wonach auch führende Webseiten von Markenartikeln jämmerlich schwach abgeschnitten haben, was Traffic anbetrifft – obwohl die Unternehmen riesige Summen in Content Marketing investierten. Durch unsere Messungen konnten wir dann beweisen, dass diese Situation für alle dieselbe ist – für Nachrichtenmedien, E-Commerce-Anbieter, Blogger, die Präsenzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und so weiter.

 

Warum haben wir den »Gong« noch nicht gehört, obwohl die Lage so brisant ist?

Martin Andree: Weil die betroffenen »Opfer« in unterschiedlichen Systemen leben, die kaum miteinander sprechen. Und weil alle über etwas sprechen müssten, das sie als Misserfolg wahrnehmen, für den sie sich auch noch verantwortlich wähnen. Dabei schafft es ja niemand, dem Sog der Plattformen zu entgehen. Das ist doppelt und dreifach tragisch – denn sobald wir begreifen würden, dass wir ausnahmslos alle betrogen werden, wäre es ein Leichtes, die Vorherrschaft von Big Tech abzuschaffen.

 

Was möchten Sie mit Ihrem Buch im Idealfall erreichen?

Martin Andree: Ich habe zwei Kinder, die sind 14 und 11 Jahre alt. Ich würde mir wünschen, dass sie und ihre Familien in Zukunft auch noch in einer Demokratie leben, in der es eine freie und pluralistische Medienlandschaft gibt. Leider stehen die Zeichen dafür schlecht. Und deshalb will ich alles tun, was ich als Wissenschaftler kann, um diese schlimme Entwicklung zum Positiven zu verändern und ein Umdenken anzuregen. Wir könnten in wenigen Monaten das Internet befreien – wenn wir nur ein wenig Mut und Entschlossenheit hätten, ein kleines Stück Revolution zu wagen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zum Autor

Dr. Martin Andree unterrichtet digitale Medien an der Universität Köln und ist CEO von AMP Digital Ventures. Er ist habilitierter Medienwissenschaftler und besitzt darüber hinaus 20-jährige Erfahrung im digitalen Marketing, unter anderem als Corporate Vice President bei Henkel (2012 bis 2018).

08.08.2023

Wirtschaft & Gesellschaft

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